Im Schatten der Tosca
Liebling an und beschnatterten anschließend sein aufregendes Erscheinen.
An der Oper wurden fast ausschließlich hauseigene Sänger eingesetzt, selten Gäste, sie brachten nur Unruhe durch ihre Sonderwünsche und fügten sich meist nicht harmonisch ein in die sorgfältigen Inszenierungen. Neben den jungen Leuten gehörten auch altbewährte, zum Teil berühmte Kräfte zum Ensemble. Das spornte an, jeder wusste, wie gut die anderen waren. Und doch gab es kaum Neid und erstaunlich wenig Intrigen, nicht nur gemessen an anderen Häusern. Denn der Spielplan war so vielfältig gefächert, dass jeder zum Zug kam.
Marianas Einstandsrolle war die Nancy in ›Martha‹ von Flotow. Die Regie besorgte ein bekannter Theaterregisseur. Er und sein Bühnenbildner hatten sich für ihr Operndebüt die leichtfüßige ›Martha‹ ausgesucht und sich für die Partien der beiden jungen Damen und ihrer Verehrer junge, unverbrauchte Sänger erbeten.
Jetzt waren die beiden Herren von ihren vier Protagonisten entzückt. Liebevoll dachten sie sich für sie schnurrige Dinge aus, kleine Pannen, verstohlene Blicke, verräterische Gesten. Es ging
very British
zu, aber fernab der sonst üblichen Klamotte entstand die Komik durch winzige Abweichungen, Ungereimtheiten. Ganz sanft wurde die feine englische Art durch den Kakao gezogen.
Alle amüsierten sich köstlich auf den Proben. Das brauchte nicht unbedingt ein gutes Zeichen zu sein. Gerade wenn sich die Akteure vor Lachen auf die Schenkel schlugen und alles ganz wunderbar fanden, konnte es vorkommen, dass nachher die Premiere bleiern durchfiel. Doch diesmal blieb der fröhliche Schwung erhalten – und das bezaubernde Bühnenbild machte England-süchtig. Die Aufführung wurde ein absoluter Renner und immer wieder auf den Spielplan gesetzt, jahrelang.
Für Mariana war das ein Traumstart. Ein paar Wochen zuvor hatte kein Mensch in Stuttgart jemals von ihr gehört, durch ihre Nancy avancierte sie zu einem der gehätschelten Sängerlieblinge, konnte in mannigfachen Einzelheiten ihren wachsenden Bekanntheitsgrad wahrnehmen: Zum Beispiel bekam sie beim Metzger immer bessere Stücke. Seitdem Mariana eine eigene Küche hatte, brutzelte sie sich nämlich ab und zu ein Steak.
Diese erfreuliche Entwicklung beflügelte Mariana bei ihren zaghaften Kochversuchen. Nach acht Wochen das erste genießbare Steak, das ist doch was, lobte sie sich selbst. In der gleichen Zeit hatte sie ihr Schuldeutsch aufpoliert und fließend Deutsch zu sprechen gelernt. Bald verstand sie auch Schwäbisch.
Mariana wohnte im obersten Stock eines schönen dreigeschossigen Mietshauses in halber Höhe über der Stadt, mitten in einem reichen, gepflegten Viertel. Um das Haus herum lagen Gärten und Villen. Über eine merkwürdige Treppe mit Hunderten von ungewöhnlich breiten, niedrigen Stufen, die sich den Hügel hinunterschlängelten, erreichte Mariana inzwanzig Minuten die Oper. Heimwärts dauerte es sehr viel länger, aber da konnte sie die Straßenbahn nehmen. Wegen der schönen Aussicht, die man dann auf die Stadt hatte, war eine solche Fahrt wie ein Ausflug.
Unter ihr wohnte ein Kunsthistoriker mit seiner Frau. Er sah aus wie ein Ire oder Schotte aus uralter Familie, feingliedrig, rotblond, mit einem scharfgeschnittenen Vogelgesicht. Sie glich einer verführerischen Odaliske, lackschwarz der kurzgeschnittene Bubikopf, schneeweiß die samtweiche Haut. Ein interessantes, schönes Paar, das Vernissagen, Premieren, Konzerten, bei denen es auftauchte, großstädtischen Glanz verlieh.
Rainer Bohnacker hatte sich mit einer Arbeit über den Manierismus in der Europäischen Kunst habilitiert – mittlerweile ein Standardwerk – und war zur zeitgenössischen Kunst vorgestoßen. Sie faszinierte ihn, an der konservativen Akademie übertrug er seine Begeisterung auf seine Studenten, durch eine Reihe von Publikationen weckte er beim allgemeinen Publikum Neugier und Verständnis. Er fand Geldgeber für Ausstellungen und kaufte selbst Bilder und Skulpturen, während seine Frau Lilli Werke der »Primitiven« sammelte.
Die beiden reisten viel und hatten gerne Künstler um sich. Wenn einer von ihnen nach Stuttgart kam, luden sie ihn ein, wenn er wollte, konnte er auch bei ihnen wohnen. Sie hatten einfach gerne Künstler um sich, auch Mariana luden sie bei der ersten Gelegenheit zu einer improvisierten Abendgesellschaft ein. Die Wohnung war angefüllt mit Bildern, zwischen Expressionisten und abstrakten Modernen hingen alte Meister,
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