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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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Direktor hatte von dem fleißigen Jüngling noch nichts gehört, als Gratis-Hilfskraft hatte man ihn so nebenbei eingestellt. »Erstaunlich«, murmelte er und schaute sich Mariana interessiert an. Die lächelte, aber in ihren Augen glomm ein Fünkchen Aufmüpfigkeit. Das gefiel ihm. »Ich werde mir IhrenSchützling ansehen. Und kein Mensch erfährt von unserem Gespräch«, versicherte er Mariana.
    Die Angelegenheit erledigte sich von selbst. Nach einer anstrengenden Probe, bei der nichts klappte, platzte dem Regisseur der Kragen. Er ertrug den nutzlosen Voyeur, der ihm dauernd im Nacken saß, nicht länger. Mit förmlicher Stimme sagte er im Hinausgehen:
    »So, heute haben Sie gelernt, was alles nicht passieren darf. Jetzt haben Sie einen guten Überblick, wie es auf dem Theater zugeht. Mehr können wir Ihnen nicht bieten hier in der Provinz. Wir möchten Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Sie haben sicher Großes vor, toi, toi, toi.«
    Für einen Augenblick verrutschte dem Polizeipräfektensohn die Blasiertheitsmaske, hilflos stand er da – kümmerlich. Immerhin gelang ihm ein einigermaßen würdevoller Abgang.
    Immer noch ärgerlich, packte der Regisseur Björn am Arm: »Komm, wir gehen zur Direktion.« Dort schimpfte er weiter: »Ihr lasst mich einfach sitzen mit diesem blasierten Idioten. Er hier, ohne ihn hätte ich heute das Handtuch geschmissen. Er ist ab heute mein zweiter Assistent. Gebt ihm einen Vertrag. Und Geld!«
    »Da muss ich erst mit dem Intendanten reden. Wie heißt denn der Retter?«, fragte der Direktor.
    »Björn«, sagte der Regisseur, »Björn Eksell.«
    »Ach so«, entfuhr es dem Direktor. »Na, dann allemal. Machen wir gleich den Vertrag.«

    Noch bei einem anderen Göteborger Opernjüngling sollte Mariana Schicksal spielen – wenngleich viele Jahre später und wahrhaftig entgegen ihrer Absicht. Das war Jens Arne Holsteen, ein blutjunger Geselle, der neben seinem Studium bereits die zweite Kapellmeisterstelle innehatte und seine Unsicherheit und geradezu krankhafte Schüchternheit hinter hochfahrender Arroganz zu verstecken suchte. Ebenfalls schüchterne, überempfindliche Wesen brachte er damit völligdurcheinander, stabilere Naturen mit mehr Selbstvertrauen wie etwa Mariana kamen ganz gut mit ihm zurecht. Bei ihnen verzichtete er von vornherein auf alles Imponiergehabe, da gab er sich beflissen, geradezu charmant. Mariana war zwar nicht immer seiner Meinung, doch seine Luchsohren, sein Wissen, sein Können als Musiker und sein fanatischer Eifer imponierten ihr.
    Als einmal seine Eltern wie zwei düstere Raben in Göteborg auftauchten, bekam sie eine Ahnung davon, welchen Hintergrund dieser Jens Arne hatte. Der hochaufgerichtete Vater machte in seinem schwarzen Gehrock eigentlich eine gute Figur – wären da nicht die nach unten gezogenen, aufeinandergepressten Lippen und die stechenden Augen gewesen. Überhaupt umgab den ganzen Menschen ein Panzer aus Eiseskälte. Herr Holsteen war ein protestantischer Gottesmann, Inhaber eines höheren geistlichen Amtes, sowie Mitglied mehrerer kirchlicher Gremien und Verfasser moraltheologischer Schriften, in denen er die Sündhaftigkeit der Menschen, ihren Hang zum Bösen, ihre Verführbarkeit mit Bitterkeit umkreiste. »Das Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf«, davon war Herr Holsteen durchdrungen.
    Auch Frau Holsteen erschien von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Eine Matrone, die stets erhobenen Hauptes hinter ihrem Gatten herwatschelte, wie schnell er auch eilte, und Wert darauf legte, mit Titel angeredet zu werden: »Frau Oberkirchenrat«. Dem hoheitsvollen Paar folgte ein junges Mädchen, ein munterer kleiner Trampel, Jens Arnes jüngere Schwester Amélie. »Ich sing auch schrecklich gern«, erzählte sie gleich Mariana. Aber eine Ausbildung, ach was, sie war ein Mädchen, da lohnte sich das nicht, das Studium des Bruders verschlang schon ein Vermögen. Den Bruder bewunderte sie über die Maßen: »Ein Genie. Ganz einfach.« Dieser Ansicht war auch die Mutter.
    Jens Arne hatte sich beim Anblick der Eltern in sich selbst verkrochen.
    »Strindberg und Co. lassen grüßen. Das größte Geheimnis ist: Wie kommen diese Fossilien zu der harmlosen, netten Tochter?«, zischelte Mariana Björn zu. »Unser lieber Jens Arne kann sich gratulieren. Ein Funken Genie steckt wohl wirklich in ihm.«

    In Marianas zweiter Spielzeit startete die Oper ein ehrgeiziges Projekt: Den ›Ring des Nibelungen‹. Mariana vollführte

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