Im Schatten der Tosca
Foto heraus. »Isabelle und die Kleine«, erklärte er. »Du hast mich ja nicht haben wollen«, sagte er treuherzig und griff nach ihrer Hand. »Gott, waren wir beide jung, damals«, meinte Elia weise. Karl wollte Elia unbedingt noch als Norma erleben und dann mit dem Nachtzug zu seiner Familie nach Brüssel zurückfahren. Die Vorstellung, ihn im Zuschauerraum zu wissen, verlieh ihr neue Kraft. Zum Abschied beschlossen sie, sich von jetzt an wieder häufiger zu sehen.
Ein anderes Mal in diesen Monaten fühlte sich Elia frisch und munter: Das war in Stockholm. Sie wohnte wie immer bei Birgit, die nur noch mühsam an zwei Stöcken herumhumpeln konnte, aber sonst recht gut beieinander war. Sie hatte für Elia die dicken Familienfotoalben hergerichtet, nun saßen sie nebeneinander auf dem Sofa und schauten sich die Bilder an. Birgit wusste dazu viele Geschichten zu erzählen, alte und neue. Elia liebte sie alle.
Björn Eksell hatte sich für Elias Auftritte eine erstaunliche Mischung von der ›Tannhäuser‹-Elisabeth bis zur Mimi ausgedacht, und Elia stürzte sich mit Lust in ihre alten Rollen. So viel Spaß hatte ihr das Singen schon lange nicht mehr gemacht. Jens Arne kam nur kurz für zwei Vorstellungen der ›Salome‹ angeflogen, dann eilte er schon wieder zum nächsten Termin. Nach den Vorstellungen saß Elia mit Ture und Björn und ein paar Sängern zusammen. Sie schwärmten von den alten Zeiten und schmiedeten neue Pläne. Elia schien wieder ganz die Alte.
In London fehlte ihr dann die gemütliche, vergnügliche Geselligkeit. Es gab Tage, da war Mrs MacNeill ihre einzigeAnsprechpartnerin, Jens Arne bekam sie kaum zu Gesicht. Manchmal sagte er sogar das gemeinsame Essen ab. Dann ließ sich Elia im Wohnzimmer decken und nahm dort ihr einsames Mahl ein. Sie hätte gerne Mrs MacNeill dazugebeten, aber so demonstrative Vertraulichkeiten mit dem Personal wünschte Jens Arne nicht. Dabei war Mrs MacNeill längst eine Art Ersatzmutter für Elia, und sie machte kein Geheimnis daraus.
Trotzdem gab es hin und wieder Veranstaltungen, denen er sich nicht entziehen konnte, und da legte er Wert auf Elias Anwesenheit: hochoffizielle Ehrungen uralter Würdenträger, achtzigste oder neunzigste Geburtstage, auch Begräbnisse, wo hinter düsteren Mauern endlose Reden verhallten. Mit anschließendem Stehempfang oder einem gesetzten Essen. Davor fürchtete sich Elia besonders, denn es gab kein Entrinnen.
Gelegentlich ging es auch mondän zu, eine bedeutende Ausstellung wurde eröffnet, ein internationaler Tanzstar gab einen Galaabend. Den affektierten Upperclass-Ton konnte Elia noch weniger leiden als das sanfte Gelabere der alten Herrn, höflich, aalglatt. Elia hätte es egal sein können, aber fatalerweise sprach auch Jens Arne immer häufiger mit ihr in diesem Ton. Sogar zu Hause! Auch er verstand sich auf dieses leere Lächeln. Elia kannte es von ihm, so hielt er sich lästige Bewunderer vom Hals. Mehr und mehr hatte Elia das Gefühl, als baue Jens Arne eine gläserne Wand zwischen ihnen auf.
Elia versuchte, sich Mut zuzusprechen. Sie machten doch immer noch sehr vieles zusammen, neben den Vorstellungen die Plattenaufnahme der ›Norma‹, wo der Dirigent sicherlich eine größere Verantwortung trug als eine einzelne Künstlerin. Bei Mahler sang sie das Sopransolo in der Vierten, eine neue, nicht ganz einfache Aufgabe für sie. Aber geradezu lächerlich klein, verglichen mit dem musikalischen Gebirge, das sich vor Jens Arne und dem Orchester auftürmte.
Ach was, mochte das Arbeitspensum auch beängstigend sein, bisher hatten sie immer noch alles hinbekommen. Nunja, bis auf die Carmen. Statt zu viel in Jens Arnes Verhalten hineinzugeheimnissen, wollte sie lieber wieder damit anfangen, jeden Tag mindestens eine Stunde im Park herumzulaufen. Frische Luft und Bewegung halfen ihr immer, gerade wenn sie besonders schwere Partien singen musste. Ziemlich oft blieb es bei dem guten Vorsatz. Denn wenn sie abends als Abigaille oder Lady Macbeth oder Medea auf der Bühne gestanden hatte, war ihr nicht danach, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, um im Park herumzuspringen, bevor sie um die Mittagszeit wieder ins Aufnahmestudio oder zu einer Mahlerprobe aufbrach.
Bei den Aufnahmen der ›Norma‹ kam es wieder zu Schwierigkeiten. Sie hatten das Stück viele Male mit großem Erfolg zusammen auf die Bühne gebracht, und Elia liebte diese Rolle, immer noch blieben die Szenen mit Adalgisa für sie ein schmerzlicher Abschiedsgruß an
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