Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
Vom Netzwerk:
ungeschoren als »Herrschaftsmensch« seine imaginäre Reitpeitsche schwingen durfte. Und da er schon von Haus aus keine »schöne« Stimme besaß, verfügte er auch nicht über den eingeforderten melodischen »Mozartton«. Aber ihn ließ Jens Arne in Frieden, nur bei Elia fand er immer wieder neue Winzigkeiten, um an ihr herumzumäkeln.
    Elia fühlte sich durch die Erkältung schon elend genug, Jens Arnes Verhalten raubte ihr nun vollends die Sicherheit. Noch bei keiner Probe jemals zuvor hatte er sie so behandelt. Immer, selbst bei echten Meinungsverschiedenheiten, hatte in all den Jahren stets ein sachlicher Ton geherrscht. Und nun diese ungute Ironie, diese verkappte Boshaftigkeit, das hielt sie auf die Dauer nicht aus, es schlug ihr nicht nur aufs Gemüt, sondern ganz unmittelbar auf die Stimme.
    Ohne Claire Milton, die Glyndebourner Susanna, hätte Elia die Arbeit hingeschmissen und sich ins Bett gelegt, dann konnte Jens Arne schauen, wie er weiterkam. Aber Claire munterte sie immer wieder auf: »Männer! Lass dich bloßnicht ins Bockshorn jagen! Deinem lieben Herrn Gemahl ist wahrscheinlich eine Laus über die Leber gelaufen, und jetzt lässt er’s an dir aus. Vielleicht geht ihm der Grainau inzwischen auf die Nerven, aber an den traut er sich nicht ran, der würde ihm was husten, der hält sich für den Größten und nimmt es an Rechthaberei mühelos mit ihm auf.«
    Elia sang die Gräfin nicht grundlegend anders als in Glyndebourne, was genau gefiel ihm nicht mehr daran? Sicher, sie war keine »typische Mozartsängerin«, aber gerade aus diesem Grund hatte Jens Arne sie seinerzeit für die Rolle haben wollen. Jetzt warf er ihr Stilbruch vor, ließ sie kalt lächelnd fühlen, dass ihr als hochdramatischer Italienerin leider das letzte Fingerspitzengefühl für Mozart abgehen musste.
    Eine ziemliche Unverschämtheit! Wirklich ein Jammer, dass sie nicht so selbstgefällig war, wie es Claire dem Kollegen Grainau unterstellte. Dann hätte sie sich Jens Arne vorgeknöpft und auf seine Widersprüche festgenagelt. Streiten konnte sie schon, wenn es um eine klare Sache ging, aber aus dem Hinterhalt giftige Pfeile abschießen, das lag ihr nicht.
    Wie schon bei den privaten Auseinandersetzungen, zog sich Elia im Verlauf der Proben immer mehr in sich zurück. Sie versuchte, so gut wie möglich, sich Jens Arnes neuen Vorstellungen anzupassen, auch wenn dabei viel an Lebendigkeit und Persönlichkeit verloren ging. Sie kam sich vor wie die Karikatur einer jener netten Singedamen, die irgendwo ihren Mozart trällerten, so konventionell und angepasst und langweilig. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen machte Elia die beunruhigende Erfahrung, dass man auch ohne Enthusiasmus singen konnte. Und zugleich fühlte sie, dass tief in ihrem Inneren etwas aufmerksam wurde, so, als wittere es eine Gefahr. Elia starrte Jens Arne an, als sähe sie ihn zum ersten Mal.

    Noch nie war Elia mit größerer Erleichterung in ein Flugzeug geklettert als am frühen Morgen nach der letzten ›Figaro‹-Vorstellung. Sie ließ sich auf ihren Sitz fallen und versank augenblicklichin einen bleiernen Schlaf, sie, die selbst auf nächtlichen Langstreckenflügen kaum ein Auge zutun konnte. Als die Stewardess sie kurz vor der Landung vorsichtig weckte, fuhr sie so erschrocken hoch, dass die Arme um ein Haar den Kaffee über ihr verschüttete. Durch den kleinen Schreckensschrei wurde Elia vollends wach. Sie reckte sich, atmete tief ein und seufzte wohlig auf.
    In Mailand waren sie alle da, Marcello, Carlos, Enrico, sogar Sylvia, zum ersten Mal wieder. Elia stürzte sich mit geradezu heiligem Eifer in die Arbeit, als ginge es um Leben und Tod. Ihre wilde Entschlossenheit und Energie übertrugen sich auch auf die anderen, und so kam eine aufregende ›Traviata‹ zustande. Carlos sang bezwingend wie immer, und wenn seine und Elias Stimme zum gemeinsamen Höhenflug ansetzten, war der Eindruck überwältigend. Enrico zog als Vater Germont alle Register, männlich-imponierend, väterlich-fürsorglich, demütig-bittend. Und Sylvia gab mit der Flora ein überzeugendes Scala-Debüt.
    Die eigentliche Sensation aber war Elia, hier trafen dramatische Wahrhaftigkeit und herzzerreißende Expression mit dem Feuer einer voll erblühten Stimme zusammen. Ihre freischwebenden Spitzentöne und ihr makelloses Legato rissen selbst die kritischen Kenner droben auf den Stehplätzen zu Beifallsstürmen hin.
    Nach dem letzten Vorhang sank Elia erschöpft an Carlos’ Brust:

Weitere Kostenlose Bücher