Im Schatten der Tosca
»Nicht wahr, ich kann doch noch singen?« Erst nach der Premiere ließ ihre innere Anspannung etwas nach. Jetzt brachte sie es fertig, Enrico von Fiammas Tod zu erzählen. Sie ließ sich von ihm in den Arm nehmen und trösten: »Ich glaube, Fiamma und dein Vater, die amüsieren sich jetzt köstlich miteinander da droben, ich sehe sie richtig vor mir.« Sie war ihm dankbar, dass er ihr nicht anbot, ihr möglichst bald ein neues Hündchen zu schenken, denn Fiamma war nicht zu ersetzen.
Wie hatte Jens Arne gesagt: »So ein uralter Hund! Kaufteuch doch einen neuen.« Außer ein paar leeren Floskeln sagte sie nichts über Jens Arne und ihr Verhältnis zueinander. Robertino kam zu einer Vorstellung, er sah seine Schwester von der Seite an: »Na, soll ich mal in London nach dem Rechten schauen?« Elia wurde rot, aber sie schüttelte nur den Kopf: »Vielleicht später mal, jetzt nicht.«
Am letzten Tag ließ sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit im Pressebüro die Mappe mit den Kritiken geben. Von der Fülle des Wohllauts ihrer Stimme war da die Rede, dem üppigen Volumen und der Grandeur ihres Timbres, dem atemberaubenden Raffinement der vokalen Linie. Vielleicht sollte ich mir das zu Hause hinter den Spiegel stecken, dachte sie in einem Anflug von Galgenhumor. In dieser Stimmung flog sie nach London zurück.
Dort hatte sich nichts verändert, allenfalls war Jens Arne noch mürrischer geworden. Zu Elias Erfolg bemerkte er: »Ich wollte ein Telegramm schicken lassen, aber Mrs Murphy ist krank, dann ging es im allgemeinen Trubel unter. Nun ja, deine Italiener waren offenbar von den Socken, also nachträglich noch Gratulation.« Dazu machte er eine so abwesende Miene, dass Elia nur die Schultern zuckte: »Danke, danke, alles halb so wild.« Auf diese wortkarge Art pendelten sich ihre Gespräche ein. Beide hatten sie viel zu tun, Jens Arne schien völlig in seine Arbeit versunken. Nicht gerade gemütlich, aber wenigstens verlief alles in manierlichen Bahnen.
Dann fingen auch schon die Proben zu ›Carmen‹ an. Elia sah in der Carmen die Verkörperung des Wilden, Unbändigen, Herben, das ihr an Spanien immer sehr gefallen hatte. Carmen war für sie kein sittenloses, sinnliches Luder, sondern eine Frau, die vollkommen frei ist von jeder einengenden bürgerlichen Moral oder Konvention. Sie gehorcht ihren eigenen Gesetzen, das heißt, wenn sie etwas haben will, nimmt sie es sich, und wenn sie keine Lust mehr darauf hat, will sie es wieder loswerden, auch wenn es sich dabei um einen Menschen, einen Mann handelt. Sie ist ebenso hart gegen sich selbst.Diese Kompromisslosigkeit und elementare Unabhängigkeit strahlt Carmen aus, und genau das macht die Männer kirre. Jeder denkt, gerade er könne dieses stolze Wild zähmen.
Schon nach den ersten Proben musste Elia erkennen, dass sie mit ihrer Konzeption voll und ganz danebenlag. Carol Smith, der Regisseur, ein schmächtiges, kurzsichtiges Männlein, sah in der Carmen einen hüftschwingenden Vamp, der die Männer erotisch umgurrte, wie er es in einem zu Studienzwecken aufgesuchten Nachtlokal erlebt haben mochte. Das war für Elia grausam, und ein weiteres Übel nahte in Gestalt von Don José, das war niemand anders als Luciano da Monte, der sie schon als Otello niedergeschrien hatte und sich jetzt wieder als wahrer Kerl auszutoben gedachte.
Elia schwante wenig Gutes, aber bei Mr Smith hoffte sie auf eine Einigung, die schlimmsten Peinlichkeiten bei der Habanera hatte sie ihm schon ausreden können. Auch von Luciano würde sie sich diesmal nicht so leicht unterbuttern lassen, schließlich wusste sich die Carmen besser zu wehren als das feine Fräulein Desdemona.
Doch als sich Jens Arne bereits bei den szenischen Proben einzumischen begann, nahm das Ganze bedrohlichere Formen für sie an. Ihre beiden Widersacher witterten Morgenluft, nachdem sich schnell herausgestellt hatte, dass Jens Arne nicht im Traum daran dachte, Elia beizustehen. Zusammen beschlossen nun die drei Männer, jeder auf seine Art, notfalls die Sängerin aus Fleisch und Blut einem Wahngebilde zu opfern. Mr Smith träumte von seiner vollbusigen Bardame, Luciano wollte offenbar beweisen, dass Carmen vor einem richtigen Mannsbild doch ehrfürchtig zu schlottern begann, und in Jens Arnes Phantasie trieb eine hundsordinäre Zigeunerschlampe ihr dämonisches Unwesen.
Elia setzte sich zur Wehr, so gut sie konnte. Sie bettelte und drohte, sie versuchte zu demonstrieren, wie absurd und lächerlich vieles war, aber
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