Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
Vom Netzwerk:
Der Großvater väterlicherseits war bereits in Salerno geboren, und da er seine Eltern früh verloren hatte, war er in einem Waisenhaus aufgewachsen. Der kleine Giovanni dachte, da all die anderen Jungen dort auch keine Eltern hatten, es müsse so sein. In dem von Patres geführten Haus wurde oft gebetet, bei glühender Hitze oder in stockdunkler Nacht und häufig mit knurrendem Magen.
    Die Kinder lernten viel, denn die Patres waren der ehrlichen und wohl auch berechtigten Meinung, Wissen sei für Habenichtse die beste Aussteuer. »Später wirst du es mir danken«, sagten sie, wenn sie einem Faulpelz mit dem Rohrstock beim Lesen nachhalfen. Daneben werkelten die Kinder im Haus und im Garten. Bei allem, was dort an Arbeit anfiel, mussten sie mithelfen, sie weißelten Wände, reparierten kaputte Möbel, leerten Latrinen, und vor den Feiertagen durften sie auch einmal ein paar Hühnern den Kopf abhacken. Das war ein Fest, Fleisch gab es selten.
    Noch etwas wurde mit großem Eifer betrieben, und hier drückte sich keiner, auch nicht die Faulen und Unbegabten: die Musik. Mit ihren Zaubertönen durchwärmte sie den zugigenOrt. Es gab nicht nur einen Chor, sondern auch eine Banda, das Waisenhausorchester. Darin wirkten alle erdenklichen Blasinstrumente sowie Trommeln und Pauken. Padre Anselmo, der auch den Chor leitete, teilte den Kindern je nach Geschick ein Instrument zu. Giovanni kam auf diese Weise zu einer Flöte, die er bald inniglich liebte und manchmal sogar heimlich mit ins Bett nahm, sie sollte sich nicht erkälten.
    Drunten in der Stadt, im Park, stand ein Musikpavillon, dort gaben die Waisenhauskinder regelmäßig ihre Künste zum Besten, ein buntgemischtes Repertoire, darunter auch Schmissiges von Verdi und Rossini, und daneben spielten sie bei allen möglichen Festen. Die Jungen wurden angestaunt und beklatscht und waren in der ganzen Stadt bekannt. Waisenkind zu sein, hatte auch seine guten Seiten oder wenigstens diese eine.
    Giovanni kam bei einem Schmied in die Lehre. Die Arbeit war hart und schmutzig, aber sie gefiel ihm ganz gut. Nur ließ der Meister oft seine schlechte Laune an dem schüchternen, ernsten Burschen aus. Die Meisterin wiederum war der Meinung, sie könne an ihm mit dem Essen sparen, ganz unrecht hatte sie damit nicht, Giovanni war Hunger gewöhnt. Manchmal wunderte er sich über den zänkischen Ton zwischen den Eheleuten, so hatte er sich ein Familienleben nicht vorgestellt. Zum Glück besaß er noch immer seine Flöte, mit ihr konnte er reden. Und er durfte auch weiterhin in der Banda mitspielen.
    Der Schmied und seine Frau hatten eine einzige Tochter, Matilda. Als Giovanni seine Lehre anfing, war sie noch ein Kind, dem er kaum Aufmerksamkeit schenkte, zumal er jahrelang hingebungsvoll, aber aussichtslos einer koketten Bäckerstochter den Hof machte. Die schwerfällige, scheue Matilda hingegen himmelte den Flötenspieler an. Lange Zeit heimlich, aber schließlich fiel es Giovanni doch auf.
    Die Bäckerstochter heiratete bald einen anderen, und er war um die Erfahrung reicher, dass unter einer appetitlichen Schale nicht immer ein bekömmlicher Kern steckte. Auf Matildatraf eher das Gegenteil zu, das begriff Giovanni jetzt: Sie wirkte herb und hatte ein ehrliches, geradliniges Wesen. Und blieb in das Flötenspiel vernarrt und in den Spieler obendrein.
    Als der jähzornige Schmied durch einen Schlaganfall hinweggerafft wurde, ergab sich alles Weitere wie von selbst: Matilda und Giovanni heirateten, er übernahm die Schmiede, sie bekamen Kinder. Erst einen Sohn, dann vier Töchter, und als schon niemand mehr ans Kinderkriegen dachte, noch einen Sohn, den kleinen Roberto. Er war ein hübscher Schalk, der seine Eltern um den Finger wickelte und auch seine viel älteren Geschwister. Die ganze Familie küsste und knuddelte ihn, er konnte tun und lassen, was immer ihm behagte – und das bekam ihm hervorragend. Er wuchs und gedieh, er liebte das Leben und die Menschen.
    Der Vater ließ ihn sogar auf seiner Flöte spielen, keines der anderen Kinder hätte sich jemals getraut, dieses heilige Instrument auch nur anzurühren. Und weil er sich gelehrig und geschickt anstellte, bekam der Kleine bald eine Piccoloflöte und durfte manchmal in der Banda im Musikpavillon mitspielen. Als er fünfzehn war, überließ ihm der Vater immer häufiger die eigene Flöte: »Spiel du heute für mich.«
    Antonio, der große Bruder, hatte inzwischen seinem Vater einen Teil der Schmiede abgeschwatzt und zu einer

Weitere Kostenlose Bücher