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Im Schatten der Tosca

Im Schatten der Tosca

Titel: Im Schatten der Tosca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kaiser
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selbstverständlich nicht, eine Scheidung ist ganz unmöglich. Kleine, wie stellst du dir das alles vor?«
    Ach, Dorle hatte sich nichts vorgestellt, jedenfalls kein lediges Kind und auch kein Verhältnis mit Jens Arne. Die Arbeit in einer Gärtnerei gefiel ihr, sie liebte Pflanzen, und die Pflanzen liebten sie und wuchsen und gediehen unter ihren Händen. Wenn sie noch besser Bescheid wusste, konnte sie einen Beruf aus dieser Begabung machen. Damit war es jetzt erst einmal aus.
    Der Vater hätte am liebsten nach seiner Flinte gegriffen, die Mutter rang die Hände, Dorle wurde ganz blass und verschreckt, aber Jens Arnes freundlicher Rat: »Lass es doch einfach wegmachen«, war ihnen keine Überlegung wert. Und so kam das Kind auf die Welt.
    Immerhin behauptete Jens Arne diesmal nicht, das Kind sei wahrscheinlich gar nicht von ihm, so wie er es schon manchmal getan hatte. Im Gegenteil, nach dem ersten Schmollen fand er sogar Gefallen an der Situation. Zwischen Rebecca und ihm blieb alles beim Alten, aber daneben, wenn ihm gerade danach zumute war, tauchte er bei Dorle und dem Baby auf, unangemeldet, versteht sich, und ließ dann wieder monatelang nichts von sich hören.
    Rebecca hatte, als sie schließlich von der Romanze erfuhr, zunächst geschwiegen. Sie wollte kein Öl ins Feuer gießen, und zudem hielt auch sie sich in ihrem Hofstaat ein paar Favoriten. Ein Kind jedoch erschien ihr mehr als geschmacklos, sie bekam einen Wutanfall, das Nashorn verlor sein Horn auf derNase durch eine heransausende Whiskyflasche, und Jens Arne musste sich arg drehen und winden, um seine Gattin zu besänftigen: »Ich schwöre dir, es ist nichts Ernstes, was soll ich denn mit der Kleinen, da klaffen doch Welten, so wie du versteht mich sonst keine.«
    Dennoch beschloss Rebecca, selbst nach dem Rechten zu sehen. Als sie energisch beim Forsthaus angerauscht kam, war sie auf allerhand gefasst, einen drallen Trampel, eine Gänseliesel. Nur darauf nicht: auf eine süße kleine Madonna, die still vor dem Haus saß und ihr Kind auf dem Schoß hielt.
    Der hochfahrende Ton und das barsche »Du«, mit dem sie das Mädchen hatte ansprechen wollen, blieben ihr im Hals stecken, schließlich fragte sie ganz sanft: »Wie heißt es denn?«
    »Rudolph. Rudi«, sagte Dorle. Die beiden Frauen schauten sich an. Viel zu besprechen gab es nicht.
    Ihren Freunden gegenüber behauptete sie lässig: »Jens Arne hat sich eben ein Kind gewünscht, das ich ihm nicht schenken konnte.« Der wiederum tat so, als stünde ihm der unerwartete Frieden zu. Ein außergewöhnlicher Künstler wie er durfte wohl Rücksichtnahme erwarten.
    Mariana gegenüber brüstete er sich mit seiner neuen Freiheit. Sie fauchte ihn giftig an: »Selbstverständlich, das hat dir wirklich noch gefehlt, du großer Wundermann: eine eigene heile kleine Welt hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen.« Wenn sie an die reizende Dorle dachte, die jetzt in der Patsche saß, krampfte sich ihr das Herz zusammen, und zum ersten Mal tat ihr sogar die hoheitsvolle Rebecca leid. Nein wirklich, es gab nicht viele Menschen, mit denen sie noch zusammenarbeiten mochte.
    Höchst erfreulich hingegen verlief das Engagement in Leningrad. Man hatte sich für Marianas Debüt tatsächlich auf ›Boris Godunow‹ geeinigt, aber nicht auf die Schankwirtin, sondern auf die schöne, ehrgeizige Marina Mnicheck aus dem »Polenakt«.
    Wie vor vielen, vielen Jahren trat Mariana ihre Reise vonStockholm aus an, allerdings mit dem Flugzeug. Kurz vor dem Abflug geriet sie in Panik: Sankt Petersburg, das war für sie ein glückseliger Kindheitstraum, war es nicht ein Frevel, die Erinnerung ans Paradies durch eine hässliche Wirklichkeit zu zerstören? Die großzügige, elegante Leichtigkeit von damals war mit Sicherheit dahin. Niemand von den vielen Verwandten und Freunden lebte mehr dort, und später, während der aberwitzigen Belagerungsjahre im Zweiten Weltkrieg, waren Tausende von Menschen in ihren eiskalten Wohnungen verhungert oder erfroren. Dieses Leid hing bestimmt noch in den Mauern der Stadt.
    Doch schon auf dem Flugplatz, als sie die ersten russischen Laute vernahm, verschwand ihre Angst: das gleiche Geschnatter und Gezwitscher und Geküsse wie eh und je. Dort hinein durfte sie eintauchen, wochenlang! Da mochte ruhig der Putz von den einstmals glanzvollen Häusern rieseln, das schwere, schlechte Essen wie ein Stein im Magen liegen, die Kleidung der Leute derb und unförmig sein. Selbst an der spannenden Rolle der

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