Im Schatten des Elefanten
hören und Arme der Unseren sehen, die stürmisch uns winken, wie die eines Dahineilenden.
»Pst!« macht meine Mutter.
Auforchend bleiben wir stehen, aber es ist nichts oder nur ein fernher gellendes Quietschen unbestimmbarer Dinge aus der Stadt, die am Gehölz sich scheuern; und meine Mutter sagt: »Es klang mir wie deine Schwester.«
So war es damals, als es geschah; die Stimme meiner Schwester, die uns ruf, und wir, die wir stehenbleiben; meine Mutter, die mich ansieht. »Deine Schwester«, sagt sie zu mir. Dann antwortet sie: »Wir kommen!«
Sie redet leise mit mir und zugleich in Brüllstärke mit jener Stimme, die meiner Schwester gehört. »Das kommt gar nicht von zu Hause«, sagt sie zu mir. Und zu der Stimme: »Wo bist du?«
»Mama!« ruf meine Schwester. »He, Mama!« »Sie muß uns schon lange suchen«, sagt meine Mutter zu mir. Und sie schreit: »Was ist denn los?« »Mama! Mama!« kommt’s von meiner Schwester. »Dumme Gans!« geht’s von meiner Mutter. »Was soll ihr Mama-Schreien?« sagt sie zu mir. Ihre Augen aber lachen; und sie wiederholt den Schrei meiner Schwester: »Mama! Mama!« Sie äf sie nach.
»Was?« kommt’s von meiner Schwester her. Da lasse ich meine Stimme erschallen: »Wir hören dich«, schreie ich. »Was ist denn los?«
»Schnell«, kommt’s von meiner Schwester herüber.
»Schnell?« schreit meine Mutter. Jetzt schreit sie
auch, wenn sie mit mir spricht.
»Sie drängt uns«, sage ich.
»Sie wird nicht etwa verlangen, daß wir uns in Trab
setzen«, schreit meine Mutter. »Warum rennt denn
sie nicht?«
Sie aber beschleunigt ihre Schritte.
»Sie rennt ja doch«, sage ich zu ihr.
»Kannst du sie sehen?« sagt meine Mutter. »Ich sehe sie«, sage ich. »Sie ist auf der anderen Seite des Weihers und rennt.« Ich bezeichne den Punkt: die helle Linie des ausgetrockneten Beckens. »Und sie läuf der Brücke zu. Sieh doch, wie sie uns winkt. Wir werden zur gleichen Zeit dort sein.«
So berichte ich weiter, wo ich meine Schwester sehe. »Meinst du, ich sähe sie noch nicht?« sagt meine Mutter.
Sie beginnt zu winken wie meine Schwester und
rennt wie sie. »He!« rufen sie einander zu. »He!« geben sie sich zur Antwort.
Aber nun tanzt meine Schwester auch noch. Sie rennt, winkt, ruf, doch plötzlich macht sie einen Knicks und dreht sich tanzend im Kreise um sich selbst. »Kartoffeln!« schreit sie beim Tanzen. »Kartoffeln sind’s, Mama! Es sind Kartoffeln!« Sie rufen sich zu und geben sich Antwort. »Kartoffeln?« »Kartoffeln! Kartoffeln!« »Süße Kartoffeln?« »Aber nein, richtige Kartoffeln …«
»Kartoffeln, die in der Glut gebraten werden?« »Die mit Salz gegessen werden, Mama!«
»Donnerwetter! Die mit Salz gegessen werden!«
Fast kommt es mir so vor, als tanzten sie alle beide.
Tanzt sie auch nicht, meine Mutter, – springen tut
sie ganz gewiß.
»Viel?«
»Viel!«
»Ein halbes Kilo?«
»Mehr! Über ein Kilo …«
»Donnerwetter! Ein Kilo Kartoffeln!«
Kaum haben wir uns auf der Brücke wiedergefunden, will meine Mutter gleich wissen, wie sie in unser Haus gekommen sind.
»Dein Mann ist’s gewesen«, erläutert ihr meine Schwester.
»Der?« ruf meine Mutter aus. »Ich bin immer der Meinung gewesen, daß selbst er für einiges zu gebrauchen ist. Das freut mich.«
An der Wegbiegung kurz vor unserem Hause treffen wir den Mann meiner Mutter, der auf uns wartet. Es ist wie an dem Tage, als wir sie zum Standesamt begleiteten. Er lacht wie damals. »Na!« sagte er damals zu uns. »Seid ihr nicht froh, daß die Witwe eures Vaters keine Witwe mehr ist?« Geradeso lacht er jetzt. »Na!« sagt er zu uns. »Seid ihr nicht froh?« Er wiegt sich ein wenig beim Lachen und drückt sich an meine Mutter heran, nimmt gleichen Schritt mit ihr auf. »Ich bin’s gewesen«, sagt er zu ihr. »Glaubst du, man könnte das nicht eine Meile weit merken?« antwortet meine Mutter. Der Mann meiner Mutter hatte den Arm erhoben, wollte die Taille meiner Mutter umfassen, läßt ihn aber wieder sinken. »Sieh doch mal an!« sagt er. »Sie behandelt mich fast wie einen, der sich dicktut.« Meine Mutter unterbricht ihn. »Ich weiß wohl, daß du tüchtig gewesen bist«, sagt sie zu ihm. »Aber ich dachte jetzt …«
Sie ist still und in Gedanken. An was? Im Denken meiner Mutter liegt etwas Bedrohliches. Nicht denken, Mama, – wir denken ja.
Im stillen flehen wir sie an. Möchten die Kartoffeln so sein, wie es geheißen hat! Möchten sie für uns alle auf der Glut gebraten
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