Im Schatten des Fürsten
ihre Meinung zu fragen.«
»Wer bleibt dann noch?«, fragte Isana.
Serai schüttelte den Kopf. »Wir müssen es weiterhin versuchen, bis wir von allen eine Absage bekommen haben. Aber lass mich kurz mit Fürst Rhodos sprechen.«
»Soll ich dich nicht begleiten?«
»Nein«, befand Serai. »Ich glaube, er wird über deinen Anblick höchst erfreut sein. Deshalb möchte ich ihn damit überraschen. Vielleicht erwärmt er sich dann für die Idee, dich mit zur Audienz
zu nehmen. Beobachte mich nur, und komm dazu, wenn ich winke, Schätzchen.«
»Gut«, sagte Isana.
Serai schwebte davon und tauschte hier und dort ein Lächeln und ein höfliches Wort mit den anderen Gästen. Isana schaute ihr hinterher und fühlte sich in Abwesenheit der Kursorin plötzlich ausgesprochen verletzlich. Sie blickte sich um und hielt nach einem Platz Ausschau, wo sie stehen konnte, ohne gleich jedes Mal wie eine verängstigte Katze zusammenzuschrecken, sobald jemand hinter ihr vorbeiging. An einem Brunnen stand eine lange Steinbank, und nachdem Isana sich vergewissert hatte, dass Serai in ihrem Blickfeld blieb, ließ sie sich dort nieder.
Einen Augenblick später setzte sich eine Frau im roten Kleid ans andere Ende der Bank und nickte Isana höflich zu. Sie war groß, und das dunkle Haar war von Silber durchsetzt. Klare graue Augen blickten sie aus einem hübschen, wenn auch zurückhaltenden Gesicht an.
Isana erwiderte das Nicken. Die Frau kam ihr bekannt vor, und im nächsten Moment wusste sie auch, woher: Sie war am Morgen ebenfalls am Windhafen gewesen. Es war die Frau, gegen die Isana gestolpert war.
»Bitte verzeih, wenn ich dich anspreche«, sagte Isana, »doch ich fürchte, heute Morgen am Windhafen hatte ich keine Gelegenheit, mich bei dir zu entschuldigen.«
Die Frau zog eine Augenbraue hoch und legte dann die Stirn in Falten. »Ach, auf der Landeplattform. Na, mir ist überhaupt nichts passiert, insofern ist es kaum eine Entschuldigung wert.«
»Trotzdem. Ich bin einfach so verschwunden.«
Die Frau lächelte. »Bist du zum ersten Mal zum Winterend-Fest in der Hauptstadt?«
»Ja«, gestand Isana.
»Da ist man wirklich leicht überwältigt«, sagte die Frau. »So viele Windwirker und Träger und Sänften. Überall wird Staub aufgewirbelt - und natürlich kann dann niemand mehr irgendetwas
erkennen. Zur Winterendszeit herrscht hier der blanke Wahnsinn. Mach dir nichts daraus, Wehrhöferin.«
Isana blinzelte die Frau verblüfft an. »Du kennst mich?«
»Da werde ich wohl nicht die Einzige sein«, meinte die Fremde. »In diesem Jahr bist du vermutlich die berühmteste Frau im Reich. Sicherlich wird die ganze Dianische Liga über dich herfallen, um dich willkommen zu heißen.«
Isana zwang sich, höflich zu lächeln und ihre Gefühle ansonsten fest im Griff zu halten. »Sehr schmeichelhaft. Ich habe bereits mit der Hohen Fürstin Placida gesprochen.«
Die Frau in Rot lachte. »Aria ist ja vieles - aber bestimmt nicht schmeichelhaft. Ich hoffe, sie war nett zu dir.«
»Gewiss doch«, antwortete Isana. »Ich hatte das nicht erwartet, eine solche Art von …« Sie zögerte und suchte nach einem Wort, mit dem sie die Adlige nicht beleidigen würde.
»Höflichkeit?«, half die Frau aus. »Wäre ein ganz gewöhnliches, freundliches Betragen bei einer Adligen denn so ungewöhnlich?«
»So möchte ich es nun nicht gerade ausdrücken«, erwiderte Isana, konnte ihre Belustigung jedoch nicht ganz für sich behalten.
Die Frau lachte. »Und ich vermute, das liegt daran, dass du ein Gewissen hast, wohingegen viele andere Leute hier nur von ihrem politischen Ehrgeiz angetrieben werden. Einem Ehrgeiz, mit dem sich ein Gewissen nicht vereinbaren lässt. Denn beides würde sich sofort gegenseitig an die Gurgel gehen und ein schreckliches Durcheinander hinterlassen.«
Nun lachte Isana. »Und du? Bist du eine Frau mit Gewissen oder mit Ehrgeiz?«
Die Fremde lächelte. »Diese Frage wird hier am Hofe selten gestellt.«
»Und weshalb?«
»Weil eine Frau mit Gewissen dir nicht verraten würde, dass sie eine Frau mit Gewissen ist. Während eine Frau mit Ehrgeiz von
sich behaupten würde, eine Frau mit Gewissen zu sein - nur viel überzeugender als die Echte.«
Isana runzelte die Stirn und lächelte. »Ich verstehe. Also muss ich meine Fragen wohl etwas vorsichtiger stellen.«
»Nein, auf keinen Fall«, entgegnete die Fremde. »Es ist erfrischend, einen neuen Geist mit neuen Fragen kennen zu lernen. Willkommen in Alera Imperia,
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