Im Schatten des Fürsten
entschied, ausgerechnet in der Handwerksgasse mit der Suche zu beginnen, die am Fuße des Berges lag, auf dem sich die Zitadelle erhob. Hier befand man sich fern der eleganten Feierlichkeiten und Gartenfeste der Oberstadt. Hier war nirgendwo ein Edelsteinhändler oder ein Goldschmied
zu sehen. In der Handwerksgasse wohnten diejenigen, die sich den Lebensunterhalt mit der harten Arbeit ihrer Hände verdienten, Schmiede, Fuhrleute, Weber, Bäcker, Maurer, Fleischer, Händler, Zimmerleute und Schuster. Verglichen mit dem Lande herrschte hier durchaus ein gewisser Wohlstand; im Vergleich mit den Straßen der Civitas und der Adligen aber musste man dieses Viertel als arm betrachten.
Was der Handwerksgasse an Prunk fehlte, machte sie mit Lebensfreude wett. Wer sich Tag für Tag plagen musste, für den war das Winterend-Fest eine der schönsten Zeiten im Jahr, und deshalb wurden die Vorbereitungen mit großem Aufwand betrieben. Daher gab es so gut wie keine Tages- und Nachtstunde, in der man sich in der Handwerksgasse nicht auf der Straße versammelte und aß und trank, sang und tanzte und sich auch fröhlich dem Spiel hingab.
Tavi hatte seine dunkelste Kleidung angezogen und trug seinen alten grünen Mantel, dessen Kapuze er tief ins Gesicht gezogen hatte. Als er die Handwerksgasse erreichte, schaute er sich einen Augenblick halb belustigt und doch voller Unbehagen um. Die Festlichkeiten hatten ihren Höhepunkt erreicht, die Elementarlampen beleuchteten die Gegend fast taghell. Er hörte wenigstens drei Gruppen Musikanten aufspielen, und auf der belebten Straße hatte man an mehreren Stellen Bereiche mit Kreide für die Tänzer abgeteilt, die sich schwungvoll im Kreise drehten.
Tavi schlenderte durch die Gasse, wobei er nur gelegentlich aufblickte. Er richtete seine Aufmerksamkeit ganz auf das, was Ohren und Nase von der Umgebung wahrnahmen. An der Kreuzung zur Südstraße blieb er unvermittelt stehen.
Als Erstes fiel ihm der Unterschied in der Musik auf. Hier wurde nicht auf Instrumenten gespielt; ein kleiner Chor sang ein mehrstimmiges Lied, das fröhlich durch die Straße hallte. Gleichzeitig stieg ihm der Duft von frischem süßem Brot in die Nase und ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er hatte seit etlichen Stunden nichts gegessen, und so hob er den Kopf und
blickte hungrig zu der Bäckerei hinüber, die normalerweise längst geschlossen hätte, in der jedoch heute auch um diese Uhrzeit noch Hochbetrieb herrschte.
Er sah sich um, schlich am Straßenrand in einen winzigen Gang zwischen zwei Läden, entdeckte weiter hinten eine Kiste und stieg darauf. So erreichte er eine Fensterbank, an der er sich mühsam hochzog, bis er schließlich von dort aufs Dach klettern konnte. Von hier sprang er zum Nachbarhaus, dessen Dach ein wenig höher ragte. So ging es von einem Dach zum nächsten weiter, wobei Tavi seine Umgebung aufmerksam mit Augen, Ohren und Nase in sich aufnahm.
Plötzlich, ganz unerwartet, begann er vor Aufregung zu zittern, und nun war er sicher, dass ihn sein Instinkt nicht fehlgeleitet hatte. Hinter einem Schornstein versteckte er sich im tiefen Schatten, wo er reglos sitzen blieb und sich wachsam umschaute.
Er musste nicht lange warten. Auf der anderen Seite der Straße bemerkte er eine Bewegung, und dann huschte eine Gestalt im Kapuzenmantel über die Dächer, genauso leichtfüßig wie er selbst. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Er erkannte den grauen Mantel und die geschmeidige Bewegung. Zum zweiten Mal hatte er die Schwarze Katze aufgestöbert.
Die Gestalt trat an den Dachrand und schaute hinunter zu den Sängern, dann ging sie entspannt in die Hocke und legte die Hände locker aufs Dach. Unter der Kapuze legte die Katze den Kopf ein wenig schief und verharrte dann, als würde der Mann fasziniert den Musikanten lauschen. Tavi beobachtete den Dieb, und ihn beschlich das unbestimmte Gefühl, die Person irgendwie zu kennen. Dann erhob sich die Katze und spukte weiter zum nächsten Dach, den verhüllten Kopf der Bäckerei zugewandt. Hier türmten sich auf Tischen süßes Brot und Küchlein, bewacht von einer rotwangigen, dicken Händlerin. Die Bewegungen der Katze wurden, so schien es Tavi, plötzlich angespannt; sie war eindeutig hungrig. Der Unbekannte verschwand auf der anderen Seite des Gebäudes.
Tavi wartete, bis die Katze nicht mehr zu sehen war, dann erhob er sich und sprang auf das Dach der Bäckerei. Dort fand er wieder eine dunkle Stelle, wo er sich verstecken konnte,
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