Im Schatten des Fürsten
kurz bevor die Katze auf der Straße zwischen zwei Häusern auftauchte und in aller Seelenruhe die belebte Straße überquerte, wobei sie im Takt mit dem Fuß aufstampfte, als sie an dem kleinen Chor vorbeiging. Beim Verkaufstisch der Bäckerei verlangsamte die Katze den Schritt ein wenig, und als die dicke Bäckerin sich kurz umdrehte, um Silbermünzen in eine Schatulle zu legen, zuckte der Mantel der Katze einmal kurz im Vorbeigehen. Hätte Tavi nicht genau hingeschaut, wäre ihm niemals aufgefallen, dass unter dem Gewand ein Laib Brot verschwunden war.
Die Katze blieb dabei kaum stehen, sondern schlüpfte sofort in den Gang zwischen Bäckerei und dem benachbarten Schuster und schlich dort weiter.
Tavi erhob sich und griff nach dem Seil, das ordentlich aufgewickelt an seinem Gürtel hing. Er zog die Schlaufe am Ende mit geschickten Fingern auf, was er in jahrelanger Arbeit mit den sturen und aggressiven Schafsböcken seines Onkels gelernt hatte. Es war ein weiter Wurf, noch dazu aus einem schwierigen Winkel, trotzdem trat er an den Dachrand und wagte ihn.
Die Schlaufe legte sich um den verhüllten Kopf der Katze. Der Dieb sprang zur Seite und schaffte es, zwei Finger unter das Seil zu bekommen, ehe Tavi es festziehen konnte. Tavi stemmte die Füße auf das Dach, zerrte heftig am Seil und brachte die Katze aus dem Gleichgewicht.
Rasch schlang Tavi das Seil zweimal um den Ziegelschornstein der Bäckerei, knüpfte es geschickt mit einem Hirtenknoten zu, ließ sich vom Dachrand in das Gässchen hängen, landete neben der Katze, warf sich auf den Dieb und stieß ihn mit Wucht gegen die Mauer.
Die Katze trat ihm heftig auf die Zehenspitzen, und ohne die schweren Stiefel als Schutz wären sicherlich Knochen zu Bruch gegangen. Tavi rief: »Stillhalten!«, zerrte am Seil und versuchte,
seinen Gegner daran zu hindern, das Gleichgewicht wiederzufinden. Dann hörte er ein Scharren, und der Dieb stieß ein Messer nach der Hand, mit der Tavi das Seil hielt. Tavi zog die Finger zur Seite, und die Klinge schnitt tief in das Seil, das jedoch zu fest war, um es mit einem Schnitt zu durchtrennen. Die Katze hielt es mit der freien Hand und säbelte weiter.
Die Schlaufe war durchschnitten. Tavi rammte die Katze abermals an die Mauer, packte das Handgelenk mit dem Messer und schlug es hart gegen die Wand der Bäckerei. Die Waffe fiel zu Boden. Nun schlug er mit der Handkante auf den Hals der Katze ein. Sein Gegner schwankte, Tavi drehte ihn herum und stieß ihn bäuchlings zu Boden, landete auf dem Rücken des Diebs und verdrehte ihm den Arm.
»Halt still«, knurrte er. »Ich gehöre nicht zur Legion-Civis. Ich will bloß mit dir reden.«
Die Schwarze Katze beendete augenblicklich jede Gegenwehr, und irgendetwas an dieser Erstarrung gab Tavi das Gefühl, es habe mit Schreck oder mit Verblüffung zu tun. Plötzlich wich auch die Anspannung aus den Rückenmuskeln.
Tavi zog seinem Gefangenen die Kapuze vom Kopf.
Eine silbrige Lockenmähne fiel wuschelig auseinander und umrahmte den blassen Schwung der Wange einer jungen Frau mit weinroten vollen Lippen. Die Augen, die ein wenig schräg standen, leuchteten so grün wie Tavis eigene, und die Miene seiner Gefangenen drückte völlige Überraschung aus. »Aleraner?«, keuchte sie.
»Kitai?«, entfuhr es Tavi. »Du bist die Schwarze Katze?«
Sie drehte den Kopf, so gut sie konnte, und sah ihn an. Selbst im Dämmerschein des Gässchens ließ sich erkennen, wie weit sie die Augen aufgerissen hatte. Tavi starrte sie eine Weile an, und plötzlich begann es vor Aufregung in seinem Bauch zu grummeln. Ihm fielen die schlanken, kräftigen Gliedmaßen der jungen Maratfrau unter ihm auf, die Hitze, die von ihrer Haut ausstrahlte, und die Art und Weise, wie sie immer noch keuchte, obwohl sie
sich nicht mehr gegen ihn wehren musste. Langsam ließ er ihr Handgelenk los, und genauso gemächlich zog sie ihren Arm zwischen ihren Leibern fort.
Tavi schauderte und legte sich noch ein wenig mehr auf sie. Er atmete durch die Nase, und ihre feinen Haare kribbelten an seinen Lippen. Kitai roch nach vielem: nach Parfümen, die sie sicherlich aus teuren Geschäften gestohlen hatte, nach dem frischen Brot und außerdem noch nach Heidekraut und sauberem Winterwind. Als er sich bewegte, drehte sie sich ebenfalls, und ihre Schläfe berührte sein Kinn. Ihr Atem strich warm über seinen Hals. Die Augen hatte sie fast geschlossen.
»Na ja«, murmelte sie schließlich. »Jetzt hast du mich erwischt, Aleraner.
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