Im Schatten des Fürsten
ist die einzige Sichtweise, die wir vernünftig nennen dürfen.«
»Es ist deine Sichtweise, Maestro«, erwiderte Tavi. »Hinter Magnus stehen jedoch viele Gelehrte und Historiker, die dem widersprechen würden.«
»Warum sind sie dann nicht an der Akademie und verbreiten ihre Meinungen?«, wandte Larus ein und verdrehte die Augen. »Nun, ich denke, man sollte ein wenig Nachsicht walten lassen für deine … eigenwillige Auslegung.«
Tavis Gesicht wurde wieder heiß vor Wut und Demütigung, und es fiel ihm schwer, die Ruhe zu bewahren.
»Deine Auffassung ist zwar ein wenig wirr, Akadem, aber du hast dich wenigstens mit dem Lehrstoff beschäftigt. Ich denke, das
ist schon mehr, als ich über die meisten sagen kann.« Larus wandte sich den Papieren zu und schrieb die Note auf - die schlechteste Note, die noch als bestanden galt. Mit einem Wink entließ er Tavi. »Das genügt.«
Tavi knirschte mit den Zähnen, kehrte jedoch zu seinem Platz an der Wand zurück, während Maestro Larus die Blätter durchging und schließlich fragte: »Habe ich jemanden übersehen? Wer an der mündlichen Prüfung nicht teilgenommen hat, gilt als durchgefallen.« Er blickte sich um. Überall wurde bereits fröhlich geschwatzt. »Nun, dann«, sagte er, »sollt ihr erlöst sein.«
Noch ehe er sein »dann« herausgebracht hatte, drängten alle im Raum zur Tür.
»Kleinlicher Tyrann«, meinte Gaelle zu Tavi. »Bei den Elementaren, dieser Mann ist wirklich ein arroganter Esel.«
»Ein Idiot«, stimmte Tavi zu. »Er war niemals in Appia und hat die Ruinen nie studiert. Magnus war vielleicht am Ende verrückt, doch deshalb hat er nicht zwangsläufig Unrecht.«
»Darum ging es doch bei der Frage gar nicht«, sagte Ehren leise. »Tavi, du kannst nicht ungestraft einem Maestro der Akademie widersprechen. Er wollte dich auf deinen Platz verweisen.«
Tavi schnaubte und schlug sich mit der Faust in die andere Hand. Dann zuckte er zusammen. Die blauen Flecken an den Knöcheln taten weh, und die Haut riss an einigen Stellen wieder auf.
»Bei den Elementaren, Tavi«, meinte Gaelle besorgt. »Wie hast du das nur angestellt?«
»Ich will lieber nicht darüber reden«, antwortete Tavi.
»Gehen wir jetzt was essen?«, fragte Ehren.
»Ihr könnt schon mal vorgehen«, erklärte Tavi. »Ich muss mich sofort bei Gaius melden. Er ist bestimmt wütend, weil die Prüfung so lange gedauert hat.«
»Vielleicht haben sie deine Tante längst gefunden«, wollte Ehren ihn aufmuntern. »Sie wartet vielleicht schon auf dich.«
»Bestimmt«, gab Tavi zurück. »Ihr versucht, möglichst viel herauszufinden, ja? Ich komme zu euch, sobald ich kann.«
Er wandte sich in Richtung seines Zimmers, ohne auf die besorgten Blicke seiner Freunde zu achten. Hinter sich meinte er, Kichern von den anderen Akademen zu hören, an denen er vorbeiging, aber vielleicht lachten sie ja auch gar nicht über ihn; außerdem hatte er weder Zeit noch Lust, sich mit ihnen zu streiten. Es wurde langsam dunkel, und er musste Kitai aus der Akademie bringen, ehe Killian herumzuschnüffeln begann, weil er wissen wollte, wer Tavi begleitet hatte. Von Killian drohte ihr sicherlich keine Gefahr, trotzdem würde er sich erst besser fühlen, wenn er Kitai aus der Zitadelle gebracht hatte.
Er machte sich also auf den Weg zu seinem Zimmer, und im Laufen knurrte ihm der Magen. Die ganze Zeit hoffte er nur, Kitai hatte tatsächlich auf ihn gewartet.
Als er um die Ecke des Ganges bog, an dem sein gemeinsames Zimmer mit Max lag, blieb er abrupt stehen. Er runzelte die Stirn und starrte in das Dämmerlicht, das hier bereits herrschte. Dieser Teil der Unterkünfte lag an der Außenmauer der Zitadelle, und zwischen der dunklen Steinwand und den Türen der Zimmer war es bereits dunkel.
Er konnte also nichts erkennen, doch sein Instinkt warnte ihn. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Zu der Prüfung hatte er nicht einmal sein Messer mitgenommen, da keine Waffen in den Hörsälen erlaubt waren, und nun vermisste er es schmerzlich.
Rasch trat er aus der Mitte des Gangs an die Außenwand, wo er sich ebenfalls im Schatten befand und nicht im trüben Schein, der von hinten aus den helleren Bereichen hereinfiel. Einen Moment lang schloss er die Augen und konzentrierte sich auf seine anderen Sinne, um zu verstehen, was diese Wachsamkeit ausgelöst hatte.
Er hörte Schritte; lang und leise, irgendwo vor ihm in der Dunkelheit, und sie bewegten sich von ihm fort. Dann, einen Atemzug später, stieg ihm
Weitere Kostenlose Bücher