Im Schatten des Fürsten
erzählt, Aric«, meinte Isana, nachdem die Teller zur Seite gestellt waren und jeder eine Tasse heißen Tee vor sich stehen hatte. »Wie hast du den Winter überstanden?«
Aric runzelte die Stirn. »Ich fürchte, genau das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Ich …« Er errötete leicht. »Um ehrlich zu sein, habe ich ein Problem, und ich wollte mir eigentlich bei dir Rat holen, bevor ich Graf Bernard damit behellige.«
Bernard runzelte die Stirn. »Bei den guten Elementaren, Aric. Ich bin immer noch der gleiche Mann wie vor zwei Jahren, Titel hin oder her. Du solltest dir keine Gedanken machen, ob du zu mir kommen kannst, solange es sich um eine Angelegenheit handelt, die den Hof betrifft.«
»Ja, Herr«, antwortete Aric. »Gewiss, Exzellenz, Herr.«
»Gut.«
Sofort wandte sich der junge Mann wieder Isana zu. »Es sind seltsame Dinge passiert, und ich mache mir Sorgen, ob ich vielleicht die Hilfe des Grafen brauche.«
Amara hielt sich die Hand vor den Mund, um ihr Grinsen zu verbergen, nahm dann die Tasse und trank. Bernard lehnte sich mit einem großzügigen Lächeln zurück, doch Isana spürte etwas bei ihm - eine plötzliche Sorge.
Aric schenkte sich Wein nach und schob sich ein wenig vom Tisch zurück. Er war mager, bestand fast nur aus Haut und Knochen und hatte die ausdauernden Muskeln eines Erwachsenen noch nicht aufgebaut. Dafür galt er jedoch als außergewöhnlich klug, und in den vergangenen zwei Jahren hatte er hart auf den beiden Wehrhöfen gearbeitet, die ihm unterstanden. Auf diese Weise hatte er eindrucksvoll bewiesen, wie sehr er sich von seinem Vater Kord unterschied.
»Auf dem Gebiet des östlichen Wehrhofs ist ein Raubtier unterwegs«, sagte er ernst. »Wir haben fast ein Drittel des Viehs verloren, das wir während des Winters in der Wildnis gelassen haben, und zunächst hatten wir angenommen, die Tiere seien von Thanadents oder sogar Herdentötern gerissen worden. Aber nachdem wir das Vieh zurückgeholt hatten, sind zwei Kühe von unseren umzäunten Weiden verschwunden.«
Isana runzelte die Stirn. »Du meinst, sie wurden getötet?«
»Ich meine: Sie sind verschwunden«, wiederholte Aric. »Bei Einbruch der Nacht waren sie noch auf der Weide. Am Morgen nicht mehr. Es gab keine Spuren, kein Blut und keine Kadaver. Sie waren einfach verschwunden.«
Isana zog die Augenbrauen hoch. »Das … ist eigenartig. Viehdiebe?«
»Habe ich zuerst auch gedacht«, sagte Aric. »Ich habe zwei meiner Holzwirker genommen und bin mit ihnen in die Berge gezogen, um die Diebe aufzuspüren. Wir haben nach einem Lager gesucht und es gefunden.« Aric trank einen großen Schluck Wein. »Es sah aus, als würden dort zwanzig Mann hausen, aber die waren alle verschwunden. Die Feuer waren ausgebrannt, obwohl noch ein Spieß mit Fleisch über einem lag. Die Kleidung, die Waffen und die Decken und Werkzeuge lagen da, als wären die Männer
einfach aufgestanden und fortgegangen, ohne etwas mitzunehmen.«
Die Falten auf Bernards Stirn vertieften sich, und Aric wandte sich nun ihm zu.
»Es wirkte … unwirklich , Herr. Beängstigend. Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll, aber mir haben sich die Nackenhaare aufgestellt. Und da es bald dunkel werden sollte, habe ich meine Männer genommen und bin so schnell wie möglich zum Wehrhof zurückgekehrt.« Er wurde noch blasser. »Einer von ihnen, Grimard - erinnerst du dich an ihn, Herr, er hat eine Narbe über der Nase?«
»Ja. Attischer Legionare , glaube ich, der mit seinem Vetter hier im Ruhestand lebt. Ich habe in Kaserna gesehen, wie er zwei Wolfskrieger niedergemacht hat.«
»Genau der«, bestätigte Aric. »Er hat es nicht zurück zum Wehrhof geschafft.«
»Wie bitte?«, fragte Isana. »Was ist passiert?«
Aric schüttelte den Kopf. »Wir gingen hintereinander, vielleicht im Abstand von fünf Schritten, ich in der Mitte. Im einen Augenblick war er noch da, und als ich mich wieder nach ihm umdrehte, war er weg. Einfach verschwunden, Herr. Lautlos. Spurlos. Nichts mehr von ihm zu sehen.« Aric senkte den Blick. »Da habe ich es mit der Angst zu tun bekommen und bin losgerannt. Das hätte ich nicht tun sollen.«
»Bei den Krähen, Junge«, sagte Bernard ernst. »Natürlich war das genau das Richtige. Ich hätte mir vor Angst in die Hose gemacht.«
Aric sah ihn zweifelnd an, und man merkte, dass er sich schämte. »Ich weiß nicht, was ich Grimards Frau sagen soll. Wir hoffen, er lebt noch, Herr, aber …« Aric schüttelte den Kopf. »Ich
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