Im Schatten des Fürsten
Augenblick lang wünschte sich Isana verzweifelt, ihr Bruder würde noch auf dem Hof leben. Doch Bernard war nicht hier; sie musste selbst auf sich aufpassen.
Also holte sie tief Luft und ging leise ein paar Schritte bis zur Wand, wo eine Mistgabel an einem Haken hing. Sie nahm die Forke, hielt sie ganz still und bat Bächlein, die Scheune weiter zu durchsuchen. Ihre Elementarbeschwörung arbeitete nicht exakt, und auch wenn in der Nähe ein Mörder lauerte, dem seine Aufgabe nicht völlig gleichgültig war, würde Bächlein seine Gefühle vermutlich trotzdem nicht genau orten können. Aber mehr konnte sie nicht tun.
Holzwirker konnten sich durch ihr Elementarwirken für andere unsichtbar machen, wenn sich nur ausreichend Pflanzen in der Nähe befanden. Auf Geheiß eines Holzwirkers veränderten Bäume ihren Schatten, Gras verflocht sich zu einem Versteck, und mit verschiedenen geschickten Illusionen konnten sie sich vor wachsamen und sogar geübten Augen verbergen. Und in der Scheune lag fast knöcheltief das Stroh, das im Winter die Wärme halten sollte.
Eine Weile blieb Isana still stehen und wartete, ob sie die Gegenwart eines anderen Menschen entdeckte. Geduld würde ihr helfen - denn bald schon kehrte das Hofvolk von den Feldern zum Mittagessen zurück. Der Angreifer hätte sich, falls er sich noch hier aufhielt, längst auf sie gestürzt, wenn er sie als verwundbar betrachtete. Schlimmstenfalls würde er den Kopf verlieren und sich in einen weniger feinsinnigen Angriff stürzen.
Draußen näherte sich Hufschlag dem Wehrhof: Jemand ritt auf einem Pferd durch das Tor. Das Tier stampfte einen Augenblick lang, dann rief ein offensichtlich junger Mann: »Hallo, jemand zu Hause im Wehrhof? Wehrhöferin Isana?«
Isana hielt kurz die Luft an, atmete langsam aus und entspannte sich ein wenig. Da war ein Besucher. Sie senkte die Mistgabel und trat einen Schritt auf die Tür zu, durch die sie hereingekommen war.
Von draußen hörte sie ein leises Geräusch hinter sich, und ein runder Kiesel sprang einmal vom Boden hoch und fiel ins Stroh. Plötzlich warnte Bächlein sie vor einer Woge von Panik, die sich von hinten auf sie zubewegte.
Isana wandte sich um, hob instinktiv die Forke und konnte gerade noch einen vagen Schemen im Schatten der Scheune erkennen. Stahl blitzte auf, sie spürte einen heißen Schmerz an der Hüfte, dann trafen die Zinken der Mistgabel auf Fleisch. Sie stieß einen Schrei aus - ob vor Zorn oder Schreck, wusste sie nicht -, stemmte die Forke kräftig nach vorn und legte ihr ganzes Gewicht hinein. Damit trieb sie den Angreifer an die schwere Tür eines der Pferdestände und spürte den heftigen Schmerz, Überraschung und nackte Angst bei ihrem Gegner.
Die Zinken drückten sich ins Holz der Tür, der Angreifer konnte die Tarnbeschwörung nicht aufrechterhalten und kam zum Vorschein. Man konnte ihn nicht mehr recht als Knaben bezeichnen, aber für einen Mann war er auch noch nicht alt genug. Er schien in diesem gefährlichen Alter zu sein, wo Kraft, Fähigkeiten und Selbstvertrauen mit Naivität und Idealismus verschmelzen;
dieses Alter, in dem man junge Männer, die mit gewalttätigen Kräften begabt sind, leicht davon überzeugen kann, diese Fähigkeiten brutal umzusetzen - ohne Fragen zu stellen.
Der Meuchelmörder starrte sie einen Moment lang mit großen Augen an. Alles Blut wich aus seinem Gesicht. Der Schwertarm zuckte, und die Waffe fiel ihm aus der Hand, eine eigenartig geschwungene Klinge, die mit dem gewöhnlichen Gladius wenig gemein hatte. Er wollte die Forke aus sich herausziehen, hatte jedoch keine Kraft mehr. Eine Zinke hatte ein Blutgefäß in seinem Bauch verletzt, vermutete sie, und zerstreut dachte sie über heilerische Möglichkeiten nach. Nichts sonst hätte ihn so rasch entkräften können. Was vielleicht ein Glück war, denn sonst hätte er sie wohl mit dem Schwert trotz der Wunde erneut angegriffen.
Abgesehen davon hätte sie vor Qual am liebsten geweint. Isanas Verbindung mit Bächlein war zu sehr geöffnet und zu stark, um sie jetzt abrupt zu beenden. Alles, was der Mann empfand, drang mit schmerzhafter Klarheit auf sie ein, auf ihre Gedanken und ihre ganze Wahrnehmung. Sie fühlte die Qualen, die die Wunde hervorrief, die Panik und die Verzweiflung, als er begriffen hatte, dass er seinem Schicksal nicht mehr entgehen konnte.
Schmerz und Angst machten jetzt jedoch Verwirrung, stillem Bedauern und durchdringender Erschöpfung Platz. Voller Panik zog sie ihre Sinne
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