Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
an sich sind ein recht seltsames Volk. Sie betreiben ihre Geschäfte manchmal auf eine Art und Weise, die für einen hanseatischen Kaufmann nur schwer verständlich ist.«
Alexander nickte zustimmend.
»Außerdem fühlen sie sich als Gottes auserwähltes Volk. Wegen ihres technischen Vorsprungs. Sie hatten keine Skrupel, ihren billigen, maschinengeknüpften Kattun auf den Kontinent zu werfen und die schlesischen Weber in den Hungertod zu treiben.«
»Herr Stove ist doch sicherlich nicht mit denen zu vergleichen«, empörte sich Madame.
»Auch die frühere Vereinigung der englischen Kaufleute, die Merchant Adventurer, waren keine zimperlichen Händler«, fuhr der Hausherr fort, »die haben uns das Leben recht schwer gemacht in der Hansezeit.«
»Aber das ist doch schon endlos lange her!«, brauste Cäcilie auf.
Caesar Schröder lächelte gequält. »Das stimmt. Aber es beflügelt ihren Geist immer noch.«
»Sie handeln doch auch mit englischem Kattun, verehrter Papa. Also verhalten Sie sich genauso wie die Engländer.«
»Nein, Cäcilie, es gibt einen Unterschied. Ich stelle keinen Kattun her, ich verkaufe ihn nur. Was kann ich dafür, dass die Leute danach verlangen?«
Vater und Tochter blickten sich feindselig an. Madame bemühte sich, von diesem unerquicklichen Thema abzulenken. »Caesar, im nächsten Monat wird Jenny Lind im Opernhaus auftreten. Ich gehe davon aus, dass du dich nicht dafür interessierst. Aber ich bitte dich, Karten für mich und Cäcilie zu besorgen. Es wird ein Ereignis von eminenter Bedeutung sein.«
Der Kaufmann schnaubte empört. »Natürlich gehe ich hin! Die ganze Börse geht hin. Welcher Mann wird sich schon JennyLind entgehen lassen?« Er griff nach seinem Glas und kippte das Bier mit einem Zug herunter. »Es wird nicht einfach sein, noch Karten zu bekommen, aber ich habe so meine Verbindungen …«
Während die Familie Schröder beim Mittagessen war, stand Moritz ein Stockwerk tiefer vor seinem Pult und machte den fünfzehnten Strich auf seiner Liste. Der Kontorvorsteher blickte streng zu ihm herüber. Sofort konzentrierte sich Moritz wieder auf die Geschäftskorrespondenz.
Als die Dunkelheit hereinbrach, hastete er nach Hause, denn das Wetter lud nicht zu einem gemütlichen Spaziergang ein. Es stürmte aus Nordwesten, es war kalt, der Regen peitschte fast waagerecht durch die Straßen und Gassen.
Kurze Zeit später eilten vier Menschen, in Kapuzenmäntel gehüllt, an der nächtlichen Hafenkante entlang. Vor einem Keller im Herrengraben stellten sie ihre Fracht ab. Einer trat vor und klopfte an die Tür. Kaum hatte sie sich geöffnet, drängten die vier hinein.
Herta Forck nahm ihren nassen Schal ab, schlug die Kapuze zurück und stellte den Kochtopf auf den Tisch. Der Schauermann nahm den Deckel hoch, schaute hinein, blickte die Frau fragend an und schaute noch einmal in den Topf.
»Heute ist weniger drin als beim letzten Mal«, sagte Mutter Forck kühl. »Wir können auf Dauer keine zwei Leute zusätzlich durchfüttern. So reich sind wir nicht.«
Der Mann nickte, nahm die Kelle und füllte den Teller des Mädchens. Dann häufelte er sich einen Klacks des Kartoffel-Steckrüben-Eintopfs auf den eigenen Teller.
Der Quartiersmann und seine Frau hatten sich auf die Schemel gesetzt, die beiden Jungen lümmelten sich auf dem Bett. Moritz registrierte, dass der Schauermann rasiert war und sich wohl auch gewaschen hatte.
»Du musst arbeiten gehen«, sagte Johann Forck, »es muss Geld hereinkommen.«
»Leicht gesagt«, brummte der Mann und spuckte gezielt in den Spucknapf mit dem Sand. »Das Bein wird einfach nicht besser.«
»Lass mal sehen«, befahl Herta Forck.
Widerstrebend krempelte der Schauermann das Hosenbein hoch. Moritz konnte einen großen blauen Fleck erkennen und einige blutige Schrammen. Die erschienen ihm harmlos. Doch vorn, am Schienbein, sah es nicht gut aus. Da hatte sich eine dicke Kruste gebildet, die Ränder leuchteten ungesund rot. Die Mutter nahm die Kerze vom Tisch und betrachtete das Bein.
»Sieht schlimm aus«, sagte sie kopfschüttelnd, »die Wunde ist entzündet und nässt. Und hier fließt Eiter.« Sie stellte die Kerze wieder zurück, stemmte die Ellenbogen auf den Tisch und blickte dem Mann direkt ins Gesicht. »Du bist ein Fall für den Arzt. Doch dafür wirst du kein Geld haben. Und wir auch nicht. Aber ich kann nach der Kräuter-Anni schicken, die versteht sich gut auf diese Art von Verletzungen.«
Der Mann streckte die Hände von sich.
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