Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
fester, aber nur unten. Oben brauche ich nicht geschnürt zu werden.«
Während sich die beiden wieder an die Arbeit machten, hielt sich Madame krampfhaft am Türrahmen fest, um nicht umgerissen zu werden.
»Wenn ich einen Schnürleib von Lacrois aus Paris hätte«, stöhnte sie, »wäre alles viel einfacher.«
»Frau Mama, es liegt nicht am Korsett«, wagte Cäcilie zu bemerken, denn sie wusste, dass ihre Mutter viel zu wenig Luft hatte, um sich mit ihr zu streiten.
Cäcilie schlüpfte in ihr braunes, hochgeschlossenes, eng anliegendes Kleid mit der schwarzen Knopfleiste. Madame blickte misstrauisch.
»Beinahe zu gewagt«, bemerkte sie missbilligend, »diese englische Mode verdirbt die Sitten.«
»Roger sagt, dass seine Königin solche Kleider trägt, wenn sie ausreitet.«
»Als Reitkleidung mag es angehen. Aber sicherlich nicht zum Dinner.«
»Ich werde Frau Senator sagen, dass ich dieses Kleid von Königin Victoria bekommen habe und es deshalb tragen muss.«
Madame schüttelte resigniert den Kopf. »Ich möchte, dass du dazu die weiße Spitzenhaube aufsetzt.«
Cäcilie bedachte ihre Mutter mit jenem mitleidigen Blick, der sonst nur den halbtoten Leuten im Siechenhaus galt. »Frau Mama«, sagte sie langsam, jedes Wort betonend, »man trägt kein Häubchen zu einem solchen Kleid. Man trägt entweder einen flachen Hut oder windet sich Bänder ins Haar.«
»Kind, wie willst du deine hochgesteckten Haare unter einen flachen Hut bekommen?«
»Die Haare steckt man nicht darunter, Frau Mama. Der Hut sitzt vor den hochgesteckten Haaren.«
Madame schüttelte verständnislos den Kopf. Sie umrundete ihre Tochter, zupfte hier am Kleid, glättete dort. »Ganz schön frivol. Ich werde Alexander einschärfen, dass er auf dich aufpasst.«
Madame schminkte sich sorgfältig und sparte auch nicht mit dem Talkumpulver. Als Cäcilie ebenfalls nach der Quaste greifen wollte, wehrte ihre Mutter ab. Doch dann besann sie sich.
»Es wird langsam Zeit, dass wir nach einem honorablen Mann für dich Ausschau halten, Cäcilie. Zu den Albers kommen zwar meist ältere Leute – aber wer weiß.« Sie fixierte ihre Tochter. »Du könntest dir die Nase pudern, damit sie nicht gar so glänzt.«
Cäcilie nahm die Quaste. Sie hielt einen Augenblick inne, dachte an Moritz, doch dann verschwand ihr Gesicht in einer Puderwolke.
»Wir müssen uns noch um unsere Haare kümmern«, sagte Madame. »Ich habe Monsieur Leblanc, den Coiffeur, rufen lassen. Er ist ein Meister, er wird uns herrliche Frisuren zaubern.«
»Frau Mama!« Cäcilie streckte erschrocken die Hände von sich. »Sie meinen doch nicht etwa diesen alten Mann in den Kniehosen? Solche Hosen trägt man nicht einmal mehr am Hofe des Königs von Sachsen. Und das will schon etwas heißen.«
»Cäcilie! Der König von Sachsen ist ein ehrenwerter Mann.«
»Er ist ein altmodischer Mann. Ich jedenfalls möchte keine Frisur à la Joséphine haben, dafür bin ich zu jung. Ich werde mir die Haare selbst ondulieren. Mit Hilfe des Hausmädchens.«
Als das Brenneisen heiß war, machte sich das Mädchen auf den Weg in Cäcilies Zimmer. Bald darauf zog der Geruch von verbranntem Horn durch den Speicher. Das Hausmädchen legte erschrocken das Eisen beiseite. »Vielleicht zu heiß?«
»Nein, die Hitze war richtig. Jetzt warten wir, bis die Haare abgekühlt sind, und dann drehen wir sie über den Lockenstock.«
Mutter und Tochter trafen sich im Salon, dem großen Raum neben dem Speisezimmer. Madame schwebte – nun ja, schritt – unter einem Turm aus Haaren und darin eingeflochtenen Schleifen und Bänder einher. Cäcilie hatte ihre Haare schlicht nach hinten gekämmt und mit einem Band sowie verschiedenen Hornkämmen hochgesteckt, wobei sie die Ohren bedeckt ließ, wie es der Anstand erforderte. An ihren Schläfen kringelten sich Coquetteslöckchen nach der neuesten Mode.
Schließlich erschienen auch Caesar Schröder und Alexander. Caesar nahm die holde Weiblichkeit in Augenschein, Alexander stieß angesichts seiner herausgeputzten Schwester einen anerkennenden Pfiff aus.
Diese wohlwollende Aufmerksamkeit war jedoch einseitig. Die beiden Männer mussten sich einer hochnotpeinlichen Untersuchung seitens der Dame des Hauses unterziehen. Alexander, der einen dunklen Frack über einer geblümten Weste sowie einen Chapeau Claque trug, kam fast ungeschoren davon. Madame rückte nur die Ärmel zurecht und wischte ein paar Haare vom Kragen.
Dann richtete sie den Blick auf die Kleidung
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