Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
»Kräuterweiber komm mir nicht ins Haus! Die helfn nich, die schaden nur. Ich kenn ein Mann, der ist gestorbn nach so einer –«
»Paperlapp!«, fuhr Herta Forck dazwischen. »Wenn du nichts tust, wird der Wundbrand ins Bein kommen. Dann bist du so gut wie tot.« Sie beugte sich über den Tisch, ihre Stimme wurde drängender. »Wir machen jetzt einen Vertrag: Wenn du gestorben bist, nehmen wir das Mädchen zu uns. Dann braucht es nicht ins Waisenhaus.« Sie winkte Richtung Bett. »Moritz, bring das Papier und die Feder!«
Über diese lange Rede musste der Mann erst einmal nachdenken. Er schaute an seinem Bein herunter, auf das Mädchen, das ganz verschüchtert vor seinem leeren Teller saß, und dann auf Herta Forck.
»Ist gut. Du kannst der Kräuterhexe Bescheid sagn.«
Die Mutter holte eine kleine Papiertüte aus ihrem Mantel und legte dem Mädchen zwei Bonbons hin. »Karamell-Kiensche. Die kommen ganz frisch aus der Pfanne.«
Auch Johann Forck griff in seine Manteltasche und beförderte eine Dose Tabak hervor. Die beiden Männer stopften ihre Pfeifen. Dann fischte der Quartiersmann zwei Flaschen Braunbier aus der Transportkiste.
Moritz hatte mit einem Mal das Gefühl, als würde er durch ein Fernrohr auf Hamburg blicken und in einem Wohnkeller im Herrengraben eine merkwürdige Gesellschaft entdecken: Da saßen zwei Männer am Tisch vor ihren Bierflaschen und rauchten, während am anderen Ende des Tisches eine Frau und ein kleines Mädchen ihre Köpfe zusammengesteckt hatten und tuschelten. Auf dem Bett an der Rückwand lag ein kräftiger junger Mann und schnarchte, während sich der andere mit abwesendem Blick im Keller umsah.
»Soweit ich weiß«, sagte der kräftigere der beiden Männer gerade, »gibt es in der Mordsache Elbrand keine neuen Erkenntnisse. Dann wird es wohl doch der Engländer gewesen sein.«
Der andere wiegte den Kopf. Er blickte vorsichtig zur Tür, zur Frau und dem Mädchen, dann zu dem schlafenden jungen Mann. Schließlich beugte er sich über den Tisch. »Vielleicht war’s der Engländer. Könnt aber auch jemand anders gewesn sein.«
»Jemand anderes?«
Von draußen drang ein Geräusch in den Keller. Der Schauermann horchte, stand auf, blickte aufmerksam die Straße hinauf und hinunter und setzte sich dann wieder.
»Ich konnt in der Nacht nicht schlafn. Ich musst mich bewegn. Wegen dem Bein. Gerade als ich die Stufn hoch wollte, kam ’n Betrunkener vorbei. Der hat laut vor sich hin geflucht. Von der Kleidung nach war’s ’n vornehmer Herr.« Er nahm den letzten Schluck und plierte bedauernd in die Flasche. »Ich hab ihn vorbeigelassn. Mit Betrunkenen ist nicht zu spaßn. Kurz darauf war da noch ’n Geräusch.«
»Was für ein Geräusch?«
»Tritte. Von vieln Füßn. Da schlichn drei oder vier Leute hinter dem Betrunknen her. Ich nehm an, das warn Männer, jedenfalls sahn sie kräftig aus. Einer trug ’n Sack in ’ner Hand.«
»Waren es drei oder vier?«
»Weiß nich. War dunkel.«
»Hast du ihre Gesichter gesehen?«
»Nee. Die warn ganz schwarz. Schwarze Sachen, schwarze Gesichter. Auch die Hände schwarz. Ganz schwarze Leute eben.«
»Waren das Mohren?«
Der Mann dachte nach. »Glaub ich nich. Mohren sehn anders aus. Die warn wie wir, nur schwarz eben.«
»Und dann?«
»Nix und dann! Ich hab die Tür verriegelt. Is besser, wenn man nich so viel sieht.«
»Hast du die Polizei informiert?«
»Polizei? Biste verrückt? Hier sehn wir die Polizei lieber gehn als kommn. Und warum auch? Was gehn mich vornehme Leute an. Die kümmern sich auch nich um mich.«
Die Gruppe mit den Kapuzenmänteln machte sich auf den Heimweg. Es war immer noch kalt und windig, aber wenigstens hatte der Regen aufgehört. »Ob diese Männer den Werftbesitzer umgebracht haben?«, fragte Jan.
»Wohl kaum«, sagte der Vater. »Wer auf Raub aus ist, geht allein. Dann braucht er die Beute nicht zu teilen.«
Die Mutter schüttelte nachdenklich den Kopf. »Es können auch nur zwei Leute gewesen sein. Vielleicht war der Schauermann so betrunken, dass er doppelt gesehen hat.«
Als die Familie um die Ecke bog, ließ sich Moritz zurückfallen. Er schaute sich um, niemand war zu sehen. Und doch hatte er das Gefühl, dass sie nicht allein auf der Straße waren. Schlimmer noch, es schien ihm, als ob sie verfolgt würden. Er drückte sich in die Dunkelheit eines Hauseingangs und beobachtete dieUmgebung. Nichts. Keine Bewegung, kein Schatten. Dennoch blieb dieses ungute Gefühl.
Moritz rannte los, um
Weitere Kostenlose Bücher