Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Vorsetzen! Jemand beobachtete ihn aus dem Dunkeln. Sein Magen ballte sich zu einem kleinen, harten Klumpen zusammen, und er musste sich den kalten Schweiß von der der Stirn wischen. Gehetzt schaute er zu den Kneipen hin, doch da war alles still. Aber auf der Wasserseite, bei den Steinen, da bewegte sich etwas. Er starrte in die Dunkelheit, bis seine Augen tränten. Nichts. Vielleicht eine Ratte? Er war sich nicht sicher, ganz und gar nicht.
Vorsichtshalber zog er sich weiter hinter den Stapel aus Baumstämmen zurück. Er lauschte angestrengt und prüfte jedes Geräusch: die Kirchenglocken, das Rumpeln der Frachtwagen anden Stadttoren, Stimmengewirr in den Gasthäusern, das Aufreißen einer Tür.
Da, Rieseln von Schottersteinchen. Sie rollten den Hügel hinunter, platschten ins Wasser. Das können keine Ratten gewesen sein, dachte Moritz. Er zwängte sich in einen engen Spalt zwischen zwei Holzstapeln – und saß in der Falle. Rechts und links ragten die Baumstämme hoch über ihn hinaus, vor ihm war nichts, nur Wasser, und hinter ihm lauerte der Mörder von Elbrand.
Moritz schluckte, um die Panik zu bezwingen, die ihn zu überfluten drohte. Er konzentrierte sich auf den schmalen Ausgang zwischen den Holzstapeln zur Straße. Dort, unendlich weit entfernt und unerreichbar, blinkten die Lichter der Schänken. Plötzlich war es dunkel wie in einem Kellerloch, dann sah er den Lichtschein wieder. Da ist jemand vorbeigegangen! Moritz lauschte, doch außer seinem Herzschlag war nichts zu hören. Keine Schritte, nichts.
Ich kann nicht in dieser Falle hocken bleiben, sagte er sich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis mich der Mörder entdeckt. Mit angehaltenem Atem zwängte er sich zwischen den Stämmen zur Wasserseite und blickte über die Kaikante. Hier war es stockfinster, tief unter ihm gluckste die Elbe. Da war keine Rettung.
Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit. Er musste nach oben, auf die Baumstämme, und von dort zum Steinhöft flüchten, selbst auf die Gefahr hin, gesehen zu werden. Vorsichtig begann Moritz mit dem Aufstieg. Das war leicht, es gab genügend Vorsprünge, an denen er sich festhalten konnte. Schließlich lag er oben auf dem Holzstapel, presste sich eng an die Baumstämme und horchte. Nichts. Er robbte in Richtung Straße. Er kam nur langsam vorwärts, denn immer wieder blieb er mit der Jacke an Aststümpfen hängen. Mit einem Mal rumpelte es. Er war gegen ein Holz gestoßen, das quer über den Baumstämmen lag. Moritz legte sich ganz flach auf die Stämme, verschmolz nahezu mit ihnen, und hielt die Luft an. Das Blut dröhnte in seinen Ohren.
Der Verfolger hatte anscheinend nichts gehört. Oder er lauschte ebenfalls. Moritz tastete nach dem Holz. Es war eine Spillspake, wie sie die Seeleute benutzten, um schwere Lasten zu bewegen. Etwas zu unhandlich für eine Waffe, dachte er, aber immer noch besser als gar nichts. Die Spake vorsichtig hinter sich herziehend, robbte er weiter.
Schließlich hatte er die Stirnseite des Stapels erreicht. Vor ihm lag die Straße und auf der anderen Seite der Straße waren die Häuser mit dem warmen Schein ihrer Laternen. Moritz wollte hinunterklettern, doch das ging nicht. Unten am Stapel stand eine Gestalt, keine zwei Meter von ihm entfernt. Sie drückte sich eng an die Baumstämme und beobachtete die Straße und den Kai.
Erschrocken wich Moritz zurück. Das hätte er nicht tun sollen, denn der Stamm, auf dem er sich abgestützt hatte, bewegte sich. Die Gestalt zuckte zusammen, blickte nach allen Seiten, konnte jedoch die Ursache des Geräuschs nicht orten.
Moritz wischte sich den Angstschweiß aus dem Gesicht. Ich kann hier nicht bleiben, dachte er. Sicherlich klettert der Mörder irgendwann zu mir hoch. Wenn wenigstens Jan hier wäre. Oder Vater, der wüsste, was zu tun ist.
Auf der Straße rumpelte ein Fuhrwagen über das Kopfsteinpflaster. Die eisenbeschlagenen Räder machten einen solchen Lärm, dass das Fluchen des Kutschers und das Schnauben der Pferde nahezu untergingen. Oben auf dem Holzstapel tastete Moritz zwischen den Stämmen herum. Er fand einen Spalt, in den er die Spillspake zwängte, es gab ein knirschendes Geräusch. Er hielt die Luft an und wünschte sich weit weg. Doch seine Angst war unbegründet. Das Rumpeln des Frachtwagens hatte alle anderen Geräusche übertönt.
Jetzt, endlich, hatte er die Spake weit genug zwischen die Stämme bekommen. Er richtete sich vorsichtig auf, zog mit beiden Händen und hing schließlich mit seinem
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