Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
die Luft ausging. Kein Korsett, schoss es ihm durch den Kopf, natürlich nicht. Und sie ist auch nicht mehr so dünn. Vielleicht hat sie sogar Brüste bekommen.
»Jetzt habe ich deine Schürze zerdrückt«, sagte Moritz schuldbewusst.
»Die bügle ich wieder.«
Moritz fischte in seiner Tasche nach dem kleinen Päckchen. »Ein Geschenk. Für dich. Zur Einsegnung.«
»Das darfst du mir noch nicht geben. Erst in der nächsten Woche.«
»Aber vielleicht sehen wir uns lange nicht mehr.«
»Da hast du recht.«
Jette packte aus. In einem kleinen Pappkästchen lag ein tropfenförmiger, gelber Stein, am oberen Ende mit einem Silberring versehen.
»Bernstein«, sagte Moritz, »mit einer kleinen Pflanze drin.«
Jette musste schon wieder weinen. Ob das Geschenk zu klein ist?, fragte sich Moritz.
»Es ist so, so schön. So etwas Schönes habe ich noch nie bekommen. Ich habe überhaupt noch nie Schmuck bekommen.«
»Leider hatte ich nicht genügend Geld für eine Kette.«
»Das macht nichts. Vielleicht bekomme ich eine kleine Silberkette von meiner Patentante.«
»Ich werde jeden Tag auf dem Jungfernstieg auf dich warten.«
31
Moritz stand vor dem großen Schreibtisch und blickte starr auf die Tischplatte. Ein Spruch seines Vaters fiel ihm ein: »Geh nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst.« Was meinst du damit?, hatte Moritz gefragt. Man geht nicht freiwillig zu seinem Herrn, hatte der Vater geantwortet, man macht lieber einen Bogen um ihn, wer weiß, was der im Schilde führt, die hohen Herren sind oft unberechenbar.
Doch Moritz hatte keine Wahl gehabt, er war ja nicht freiwillig hier. Harms war zu ihm an das Pult gekommen und hatte mit leiser, verschwörerischer Stimme gesagt, dass Moritz sofort, absolut sofort, ohne Aufschub, sozusagen stehenden Fußes, zum Patron ins »Heiligtum« kommen solle und dass es anscheinend um eine ganz persönliche Sache von überragender Wichtigkeit ginge.
So drängend und wichtig schien es Moritz allerdings nicht zu sein, denn Caesar Schröder blickte seit geraumer Zeit aus dem Fenster, hielt eine Hand auf dem Rücken und zupfte mit der anderen am Ohrläppchen herum.
Moritz wartete. Er fragte sich, was der Patron wohl mit ihm zu besprechen habe. Vielleicht die Kündigung des Lehrvertrags? Der Kaufmann schien unschlüssig, ging einige Male vor dem Fenster auf und ab, drehte sich schließlich zu seinem Lehrling um und räusperte sich. »Du gehst häufig in der Mittagspause über den Jungfernstieg, Moritz.«
War das jetzt eine Frage? Moritz nickte, es konnte nie falsch sein, die Wahrheit zu sagen.
»Dann sind dir bestimmt die jungen Demoisellen aufgefallen.«
Was bedeutet das nun wieder? Habe ich irgendein Mädchen der vornehmen Gesellschaft zu direkt angesehen? Nein, ich bestimmt nicht, eher Roger. »Ich weiß nicht, was Sie …?«
»Sicherlich ist dir aufgefallen, dass die jungen Demoisellen nie alleine flanieren. Sie gehen immer zu zweit oder zu dritt.«
Moritz nickte.
»Das hatten wir bei unserer Tochter auch so vorgesehen. Sie sollte nie alleine unterwegs sein. Allerdings hat das mit der Bewachung …«, der Patron hielt inne, räusperte sich wieder, »… mit der Begleitung in der letzten Zeit nicht besonders gut geklappt.«
Moritz fragte sich, ob er wieder nicken sollte. Vorsichtshalber unterließ er es. Caesar Schröder kam an den Schreibtisch, blickte auf die Arbeitsplatte, als würde er etwas suchen, und wischte verlegen mit der Hand über eine Akte.
»Die Cousine Josephine war nicht besonders zuverlässig. Um es direkt zu sagen, sie hat versagt. Wir brauchen aber jemanden, auf den wir uns verlassen können. Immer!«
Warum erzählt mir der Patron solche Familiengeschichten?
Der Kaufmann hüstelte. »Madame hat dich als Begleiter für Cäcilie vorgesehen, Moritz, denn du bist zuverlässig. Und du kannst schwimmen.« Caesar Schröder lächelte verhalten. »Außerdem wird bei deinem Alter niemand auf die Idee kommen, dass du Cäcilies Verlobter sein könntest – oder was sich die Frauen auch immer für Geschichten ausdenken.«
Moritz riss erschrocken die Augen auf, wollte protestieren, wollte sagen, dass es seine Mittagspause sei, über die der Patron verfügte, dass er lieber mit Roger spazieren ginge als mit Cäcilie, dass er zwar auch gerne am Alsterbecken saß, bei der alten Weide, doch am liebsten alleine. Doch das alles sagte er nicht. Er nickte nur.
»Ich sehe, dass du einverstanden bist«, sagte der Kaufmann erleichtert.
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