Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
hatte Moritz die Überraschung verdaut. »Ich weiß aber nicht, ob das günstig ist«, wagte er zu bemerken, »ich bin doch häufig am Steinhöft. Bei Kapitän Westphalen.«
Caesar Schröder ließ sich auf den Stuhl plumpsen, legte die Arme auf die Arbeitsplatte und faltete die Hände. »Das mit demSteinhöft wird sich bald erledigt haben, Moritz. Harry Westphalen wird uns verlassen. Er will auswandern. Nach Südamerika.«
Am Abend hüpfte Cäcilie, ein Liedchen trällernd, leichten Fußes die Treppe zum Kontor hinunter. Moritz blickte unwillig von seinem Pult hoch. Er hatte seine Aufräumarbeiten erledigt, doch er mochte noch nicht nach Hause gehen. Es kreiste so viel in seinem Kopf herum. Und das, was da kreiste, waren keinesfalls fröhliche Gedanken.
Cäcilie ließ sich in ihrer guten Laune nicht durch sein muffiges Gesicht stören. Sie berichtete ausgiebig, was sie im Garten des Geweses über die Anstiftung zum Mord gehört hatte.
Moritz war wenig interessiert. »Der Verbrecher ist tot und Roger entlastet. Die Elbrandsache ist für mich erledigt. Sollen die Reichen den Anstifter in ihren eigenen Reihen suchen. Was geht mich das an?«
Im Stillen musste Cäcilie ihm zustimmen, doch weil sie sich über seine schlechte Laune zu ärgern begann, widersprach sie. »Es ist nicht rechtens, wenn der Auftraggeber ungeschoren davon kommt.«
»Das ist Sache der Polizei. Ich finde es viel ungerechter, dass Kapitän Westphalen uns hier alleine lässt.«
»Unrecht kann man nicht steigern, Moritz.«
»Doch! Ich finde es mehr als ungerecht, dass er sich verpisst.«
»Moritz, Contenance! Onkel Harry macht sich nicht davon, wenn du das meintest mit diesem ekligen Wort. Er hat genug gelitten, vielleicht will er endlich alles hinter sich lassen und seine Ruhe finden. In Südamerika könnte er noch einmal neu anfangen.«
»Er sollte aber auch an mich denken.«
»Wir alle leiden, Moritz. Papa ist ganz traurig, Mama musste schon weinen, und Alexander und mich bedrückt es mehr als du glaubst.«
Jetzt sagte keiner von beiden etwas. Es war still im Kontor, nur das Ticken der großen Standuhr schallte überlaut durch den Raum.
»Wie will er es überhaupt machen? Man geht doch nicht mal eben weg.«
»Onkel Harry hat in den letzten Tagen die H ENRIETTE beladen lassen. Mit ihr wird er nach Argentinien segeln und dort eine Handelsniederlassung errichten. In Buenos Aires.«
»Ist das nicht sehr unsicher?«
»Ich glaube nicht. Er hat dort noch viele Kontakte von früher. Außerdem bleibt er uns verbunden. Wirtschaftlich, meine ich. Papa hat sicher schon Abnehmer für die exotischen Waren, die uns Onkel Harry schicken will.«
Buenos Aires muss sehr weit weg sein, dachte Moritz, irgendwo am Ende der bewohnten Welt. Dort, wohin kein Hamburger Schiff segelt. Sicherlich ist es viel weiter als Lissabon.
Die beiden schauten sich an, schweigend, jeder in seine Gedanken versunken.
»Willst du mich nicht küssen?«, fragte Cäcilie.
»Ach so. Ja. Natürlich.«
Moritz zog sie zu sich heran, legte die Hände auf ihren Rücken, nahm jedoch die Finger so schnell wieder weg, als hätte er an glühendes Eisen gefasst. Da war es wieder, das Korsett, der Panzer.
»Was ist, Liebster?«
»Du bist wieder so ordentlich angezogen. Mit diesem Schnürleib.«
Cäcilie lachte übermütig. »Der Hausarrest ist vorbei. Ich darf wieder nach draußen. An die Alster. Zum Jungfernstieg.«
»Und ich muss Anstandswauwau spielen.«
Cäcilies Augen blitzten. »Ist es nicht verrückt? Abends küssen wir uns, und am nächsten Tag sollst du aufpassen, dass mich niemand küsst.« Mit einem Schlag wurde sie ernst. »Wir müssen natürlich vorsichtig sein. Du darfst mich nicht verliebt anschauen. Und nie meine Hand halten. Und küssen ohnehin nicht.«
»Ich finde das blöd.«
»Irgendwie gefällt es mir auch nicht.«
Sie schauten sich an, Befremden im Blick. Wie Galeerensträflinge, dachte Moritz, aneinandergekettet mit einer unsichtbaren Fußfessel.
Das kann anstrengend werden, dachte Cäcilie. Welcher junge Mann schaut mich schon an, wenn ich einen kleinen Kontorlehrling mit mir herumschleppe?
Moritz schlurfte die Große Reichenstraße entlang und bog in die Brandstwiete ein. Als er das Dovenfleet erreichte, war es bereits dunkel. Er zögerte einen Augenblick, blieb stehen und schaute ins Wasser hinunter, das träge und ölig in Richtung Elbe floss. Was soll ich eigentlich noch auf dieser Welt?, dachte er. Alles geht schief in der letzten Zeit, nichts
Weitere Kostenlose Bücher