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Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Rath
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neugierigen Menschen mit großen Ohren.
    »Nun, wie soll ich das erklären, Liebste.« Sie machte eine nachdenkliche Pause. »Sehen wir es einmal so. Alexander ist ein Mann, und für Männer ist es wichtig, rechtzeitig Erfahrungenzu sammeln.« Sie spitzte den Mund und zwinkerte Cäcilie vergnügt zu. »Es ist von Vorteil für uns Frauen, wenn Männer erfahren in die Ehe gehen. Wer will schon einen Tollpatsch heiraten?«
    Cäcilie errötete und blickte angestrengt auf den Weg.
    »Außerdem kannst du dir eines fürs Leben merken. Wenn sich die Söhne um die Hausmädchen kümmern, wird es für die Hausherren schwerer, es ihnen gleichzutun. Ich will da nicht ins Detail gehen, aber Alexander ist meine Versicherung dafür, dass dein Vater nicht zu unruhig wird und diese merkwürdigen männlichen Anwandlungen bekommt.«
    »Aber er hat ein Hausmädchen geküsst, Mama. Eine Bedienstete!«
    »Das ist nicht schlimm, mein Kind. Es ist besser, wenn Alexander seine Erfahrungen zu Hause macht. Unter meiner Kontrolle.«
    Cäcilie blieb stehen. Sie blickte ihrer Mutter ernsthaft ins Gesicht. »Dann würde es Sie auch nicht stören, wenn ich Herrn Harms oder Roger Stove küsste?«
    »Untersteh dich!« Madame blies die Wangen auf und schüttelte energisch den Kopf. »Was für schamlose Gedanken du hast, Cäcilie.«

30
    Am Tag nach dem Frühlingsfest war ein versiegelter Briefumschlag auf dem Weg zu seinem Empfänger   – allerdings nicht auf direktem Wege, sondern durch die Hände vieler Zwischenträger. Madame, die wohl nicht Urheberin dieses Briefes sondern dessen erste Station war, reichte ihn mit einem verschwörerischen Lächeln an Cäcilie weiter und diese, überhaupt nicht lächelnd, sondern misstrauisch blickend, an Moritz.
    Der ahnte, welchen Inhalt das Couvert barg, als er die Adresse las: Herrn Jacobsen, Hamburg. Zu gerne hätte Moritz Genaueres erfahren, aber der Brief war sorgfältig verschlossen. Er versuchte, das Siegel zu identifizieren, doch das eingeprägte Wappen sagte ihm nichts. Schließlich gab er den Brief kommentarlos an Jette weiter. Die nahm ihn an sich, zog erstaunt die Augenbrauen hoch, sagte jedoch nichts, wie es ihre Art war. Unter ihrem forschenden Blick sah sich Moritz genötigt, wenigstens den Hauch einer Erklärung abzugeben. »Überraschung«, sagte er. Und dann küsste er sie, um von dem Brief abzulenken.
    Zwei Tage später berichtete Mutter Forck beim Abendessen, dass sie Karl Jacobsen und Jette auf der Twiete gesehen habe. »Stellt euch vor, der Karl in seinem Sonntagsanzug, mitten in der Woche, wie seltsam.«
    Johann Forck schaute müde von seinem Teller hoch, Jan schlang den Eintopf in sich hinein. Offensichtlich waren beide wenig interessiert daran, wie sich andere Leute wann und zu welcher Gelegenheit kleideten. Moritz bemühte sich, ein wissendes Lächeln zu unterdrücken.
    »Zu einer Beerdigung kann er nicht gegangen sein«, plauderte die Mutter weiter, »das hätte ich gewusst. Außerdem hatteJette ein helles Kleid an. Und Strümpfe! Stellt euch vor, sie hatte Strümpfe an. Von wem sie die wohl geliehen hat?«
    »Frag sie doch, wenn es dich so sehr beschäftigt«, brummte der Vater.
    Herta Forck blickte von einem ihrer Männer zum anderen und murmelte etwas in sich hinein. Sie fühlte sich offensichtlich alleingelassen mit dieser weltbewegenden Frage.
    Jetzt, einige Tage später und zur Abendstunde, blickte Moritz missmutig in das Dovenfleet. Es war Ebbe, das Wasser hatte sich zur Nordsee hin verflüchtigt. Übelriechender, im Mondlicht schillernder Morast war zu sehen, auch ein paar vermoderte Eichenpfähle. Moritz klaubte einen Kiesel vom Kai und warf wütend nach den Pfählen. Gestern war er hier bei den alten Speichern gewesen, vorgestern auch. Doch Jette war nicht gekommen. Inzwischen war er sich überhaupt nicht mehr sicher, ob sie jemals wiederkommen würde.
    Das Steinewerfen ins Fleet brachte keine Ablenkung. Er schaute sich nach lohnenderen Zielen um. Da war eine Bewegung gewesen. Moritz ging in Schussposition und warf die Handvoll Kiesel. Eine Katze flitzte fauchend um die Hausecke.
    Irgendwie erinnert mich das alles an Cäcilie, dachte er, immer bin ich derjenige, der wartet. Ist es das Schicksal aller Jungen, auf Mädchen zu warten? Welch ein schrecklicher Gedanke.
    Er bückte sich, suchte einen faustgroßen Stein. Vielleicht ist es Gottes Strafe, vielleicht will er, dass ich leide, weil ich zwei Mädchen geküsst habe.
    Jetzt war es keine Katze, diesmal war es eine Ratte.

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