Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Carya nicht zu sagen. Sie hoffte, dass er wusste, was er tat. Sonst würden ihm die Dorfbewohner diese Täuschung sicher ziemlich übel nehmen.
»Hört auf die Tochter des Himmels, die zu uns zurückgekehrt ist, um uns in ein besseres Leben zu führen!«, rief Ordun.
Einige Männer, darunter auch Mablo, blickten zweifelnd drein, aber der Großteil der Ausgestoßenen brach in einen Jubel der Erleichterung aus.
»Wartet«, bat Carya erneut um Gehör. »Ich habe noch mehr zu sagen.« Die Menschen vor ihr verstummten. Nervös strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Los doch , drängte ihre innere Stimme sie. Bring es hinter dich.
»Ordun hat meine Worte falsch verstanden. Ich kann euch nur den Weg weisen, den ihr nehmen sollt. Aber führen kann ich euch nicht. Das müssen andere machen, die dazu besser geeignet sind.« Sie warf dem glatzköpfigen Priester einen Seitenblick zu, bevor sie sich wieder an die Anwesenden wandte. »Ich darf nicht bleiben, denn solange ich unter euch lebe, bringe ich euch in Gefahr. Die Stadtmenschen suchen nach meinen Eltern, meinen Freunden und mir. Darum müssen wir ihre Spur von euch ablenken und uns in eine andere Richtung wenden.«
Einzelne Stimmen des Protests wurden laut.
»Ich weiß, ich weiß«, rief Carya darüber hinweg. »Ihr würdet niemals einen von euch im Stich lassen. Und sicher würdet ihr auch mich, meine Eltern und meine Freunde gut beschützen, wenn die Stadtmenschen kämen, um uns zu holen. Aber das will ich nicht. Es sind schon zu viele Menschen für mich gestorben. Das muss aufhören. Außerdem hatte ich nicht nur eine Vision über eure Zukunft, sondern auch über meine. Und mein Weg führt in eine andere Richtung als der eure.«
»Wir wollen nicht, dass du gehst, Tochter des Himmels«, rief Suri aus der ersten Reihe. Allerdings war sich Carya nicht ganz sicher, ob diese Worte wirklich an sie gerichtet waren oder nicht vielmehr einem ganz bestimmten Jungen direkt neben dem Mutantenmädchen galten.
»Es tut mir leid, aber es muss sein«, gab Carya zurück. Es schmerzte sie, all die enttäuschten Gesichter zu sehen. Aber was sollte sie machen? Wenn sie dem Geheimnis ihrer Herkunft nachgehen wollte, konnte sie nicht mit den Ausgestoßenen nach irgendeinem See jenseits der Berge suchen, den es womöglich gar nicht gab.
Sie deutete auf das Fluggefährt hinter ihr. »Ich lasse euch meine Kapsel. Ihr sollt sie weiter für mich aufbewahren, wie ihr es schon immer getan habt. Und ich verspreche auch, dass wir uns wiedersehen werden. Wenn ich die Antworten gefunden habe, die ich suche, kommen wir zu euch zurück.« Sie holte tief Luft. »Und jetzt verzeiht mir. Aber ich brauche noch etwas Zeit, bevor wir uns trennen. Und ihr müsst sicher auch einiges vorbereiten.«
»Nein!«, widersprach Ordun. »Alle Vorbereitungen treffen wir morgen. Heute Abend wollen wir die Jagdbeute essen, die wir euch und den anderen Jägern verdanken. Und wir wollen ein letztes Mal gemeinsam feiern, bevor sich unsere Schritte trennen und uns einem ungewissen Schicksal entgegentragen.«
Am liebsten hätte Carya sich dem verweigert. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, waren Dutzende Männer, Frauen und vor allem Kinder, die ihr bei einem Abschiedsfest ein schlechtes Gewissen einredeten, indem sie ihr sagten, wie viel sie ihnen bedeutete. Doch sie sah ein, dass es undankbar gewesen wäre, nicht teilzunehmen, also nickte sie nur. Während der Stammesführer die Aufgaben für das abendliche Zusammenkommen verteilte, ging Carya an Jonans Seite die Treppenstufen hinunter zurück zu ihren Eltern.
»Wo ist nur meine kleine Carya geblieben?«, empfing ihre Mutter sie mit unüberhörbarem Staunen. »Du bist so erwachsen geworden in den letzten Wochen.«
Carya schenkte ihr ein klägliches Lächeln. »Ich weiß.«
Kapitel 4
I m letzten Licht des scheidenden Tages kam das Dorf wieder zusammen. Die Ausgestoßenen trugen Stühle und Tische auf den Dorfplatz, es wurden mehrere Grillfeuer angefacht, und kurz darauf brieten das geschossene Reh, ein wildes Schaf und mehrere Kaninchen am Spieß darüber. Dazu hatten die Ausgestoßenen offenbar ihre Speisekammern geplündert und zumindest alles, was bald verderben würde, herangeschafft, sodass es beinahe ein richtiges Festessen war, mit dem sich die Gemeinschaft von ihrem Dorf sowie von Carya, ihren Eltern, Jonan und Pitlit verabschiedete.
Obwohl sich alle spürbar Mühe gaben, dem Beisammensein eine heitere Note zu verleihen, hatte Carya das
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