Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Gefühl, dass die kommenden Tage wie ein drohender Schatten auf ihnen lasteten. Die meisten Gespräche drehten sich darum, was auf der Reise wohl geschehen würde und wie lange es dauern mochte, bis die Dorfbewohner den Ort erreichten, den die Tochter des Himmels ihnen genannt hatte. Einige hatten Angst, andere überlegten gar, allen Gefahren zum Trotz im Dorf zurückzubleiben, doch zu Caryas Erleichterung wurden sie von Freunden oder Verwandten davon überzeugt, dass die Gemeinschaft nur dann stark war, wenn sie zusammenblieb.
Viele der Dorfbewohner – vor allem die Frauen – brachten ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die Tochter des Himmels sie nach so kurzer Zeit schon wieder zu verlassen gedachte. Ein kleiner blonder Junge übergab ihr einen selbst geschnitzten Talisman, der sie auf ihren Reisen beschützen sollte. Und Mablo schenkte ihr den Bogen, mit dem sie am Morgen noch auf der Jagd gewesen war, samt einem Köcher voller Pfeile. »Ihr werdet ihn brauchen«, sagte er. »Denn auch Ihr müsst essen. Aber Vorsicht: Einer der Pfeile ist etwas Besonderes.«
Er umfasste eines der gefiederten Enden, das sich schon deshalb von den anderen unterschied, weil es irgendwie perfekter, nicht wie von Menschenhand gemacht, aussah. Als Mablo den Pfeil herauszog, erwies er sich als vollkommen schwarz, und er schien genau wie der Bogen aus einem geheimnisvollen Material zu bestehen, das aus der Zeit vor dem Sternenfall stammte. An der Spitze befand sich ein Zylinder von vielleicht drei Zentimetern Durchmesser und sechs Zentimetern Länge, auf dessen Spitze ein rotes Hütchen saß. »Das ist ein Donnerpfeil«, sagte Mablo von tiefem Ernst erfüllt. »Er ist sehr mächtig. Wenn Ihr seine Spitze dreht …«, er zeigte Carya, wie sie es machen musste, »… ist er scharf. Trifft er dann auf sein Ziel, wird es in einer gewaltigen Explosion vergehen. Es ist der letzte, den ich habe – und ich schenke ihn Euch, Tochter des Himmels. Bewahrt ihn gut auf und verwendet ihn nur in der Not, denn wenn Ihr ihn verschossen habt, werdet Ihr keinen zweiten Pfeil dieser Art mehr haben.«
Gerührt von so viel Fürsorge und Ehrerbietung, ergriff Carya Mablos Hand. »Danke. Vielen Dank. Ich werde ihn nicht vergeuden.«
Bemerkenswert an diesem Abend der Abschiede war, dass keiner der Ausgestoßenen versuchte, Carya umzustimmen und dazu zu bewegen, bei ihnen zu bleiben. Der Grund dafür lag wohl in den Visionen, die Carya erwähnt hatte. Wäre sie einfach nur gegangen, weil sie die Gemeinschaft dadurch vor den Templern schützen wollte, hätte ihr das manch einer womöglich übel genommen, denn man konnte dieses Handeln auch so deuten, dass die Tochter des Himmels ihren Anbetern nicht zutraute, auf sie oder sich selbst aufzupassen. Eine Vision allerdings, die einen dazu brachte, einen gewissen Pfad einzuschlagen, passte gut ins Glaubensbild der Ausgestoßenen. Das war etwas, das sie verstanden.
Bereits lange vor Mitternacht löste sich die Gemeinschaft wieder auf. Die Dorfbewohner gingen früh zu Bett, vor allem, wenn ein anstrengender Tag wie der morgige bevorstand, an dem sie ihr gesamtes Hab und Gut reisefertig machen mussten.
Carya hingegen war noch ruhelos. Die Aussicht, erneut ins Unbekannte aufzubrechen, machte sie nervöser, als sie zuzugeben bereit gewesen wäre. Ihren Eltern, Jonan und Pitlit schien es ähnlich zu gehen, und so kam es, dass sich die fünf vor dem Schlafengehen im Erdgeschoss des Hauses zusammenfanden, das die Ausgestoßenen der Tochter des Himmels zur Verfügung gestellt hatten.
An der Wand, die zum Dorfplatz wies, konnte man noch die mit Lehm ausgestopften Einschusslöcher sehen, die der Phantom -Hubschrauber beim Überfall der Schwarzen Templer auf das Dorf in allen Gebäuden rundherum hinterlassen hatte. Auch einer der Stühle hatte repariert werden müssen. Sah man obendrein von einigen silbrigen Geschossen ab, die in den Tischbeinen und im Schrank steckten, war die Einrichtung aber glücklicherweise kaum beschädigt worden.
»Also machen wir uns morgen wieder auf den Weg«, sagte Caryas Vater, als sie sich rund um den Tisch niedergelassen hatten. Ein Krug Wasser und ein paar Becher standen auf der Tischplatte. Mehr hatten sie im Moment nicht; mehr brauchten sie aber nach dem reichhaltigen Abendessen auch nicht.
»Ja«, bestätigte Carya. »So sieht es aus.« Sie hatte den Zettel mit den Koordinaten hervorgeholt und drehte ihn gedankenvoll in den Händen.
»Da stellt sich die Frage«, fuhr Edoardo
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