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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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Abend, als sie Tobyn den Gnadenschuss gab und anschließend auf seine Richter feuerte, erstmals zum Vorschein gekommen war und sie seitdem immer häufiger übermannte, bedauerte diese Entscheidung noch immer. Einen Mann wie Aidalon beschämte man nicht dermaßen und ließ ihn danach am Leben. Früher oder später würde er kommen, um sich an Jonan und ihr zu rächen. Mit Blut auf den Lippen hatte er es ihnen versprochen.
    Diese Kämpfernatur war es auch, die Carya dazu bewogen hatte, darauf zu bestehen, Mablo und Jonan bei der Jagd begleiten zu dürfen. »Wir sind jetzt nicht mehr in Arcadion«, hatte sie zu den beiden gesagt. »Wir befinden uns in der Wildnis. Und, Jonan, wir haben keine Ahnung, was uns noch bevorsteht. Ich muss lernen, zurechtzukommen, zu überleben. Dazu gehört auch, hier draußen Nahrung zu finden. Beeren von Sträuchern und Äpfel von Bäumen pflücken, das kann ich. Aber wie man jagt, das weiß ich nicht.«
    Widerstrebend hatten die Männer nachgegeben. Und nun waren sie zu dritt unterwegs durch das wilde Land abseits aller schützenden Mauern und Handelsstraßen. Sie liefen den Hang eines Hügels hinunter, durchquerten ein schmales Tal und tauchten dann in den Schatten schlanker, doch vielfach verästelter und eng beisammenstehender Bäume ein. Zwischen den Stämmen wuchs das Buschwerk so dicht, dass es stellenweise kaum ein Durchkommen gab. Carya konnte sich nicht vorstellen, dass hier Tiere lebten, die größer waren als Hasen oder Wildhunde.
    Als sie noch innerhalb der Mauern Arcadions das Leben einer behüteten Städterin geführt hatte, war ihr die Welt jenseits des Aureuswalls stets wie eine unwirtliche, lebensfeindliche Wüstenei erschienen – daran hatte selbst der Ausflug ans Meer, den Carya vor ein paar Jahren mit der Templerjugend unternommen hatte, wenig geändert, so aufregend er auch gewesen war. Natürlich färbte der Ausblick, den man von den Mauern der Stadt aus hatte, die Sicht der Bürger auf die Dinge. Ruinen erstreckten sich, so weit das Auge reichte, um Arcadion herum – die verfallenen Zeugen einer Zivilisation, die es seit dem Sternenfall und den Dunklen Jahren nicht mehr gab.
    Nur Verbrecher, Glücksritter und Mutanten lebten dort draußen, hatte man sie gelehrt. Und Leben konnte man das eigentlich auch nicht nennen. Sie schliefen auf Müll, ernährten sich von dem wenigen, was sie dem Land und sich gegenseitig rauben konnten, und töteten einander selbst für ein Paar Stiefel, einen Mantel oder einen Kanister mit unverdorbenem Wasser. Diese und ähnliche Lügen waren ihr an der Akademie des Lichts eingetrichtert worden.
    Nun gehörte Carya selbst zu diesem Menschenschlag von Flüchtlingen und Ausgestoßenen, und obwohl sie – gerade im Trümmergürtel rund um die Stadt – Leben in tiefster Armut und schnell kommenden Tod kennengelernt hatte, war nicht alles schlecht in der Wildnis.
    Die Mutantengemeinschaft beispielsweise, der auch Mablo angehörte, hatte Jonan, Pitlit und sie freundlich aufgenommen. Wie viel der empfangenen Gastfreundschaft und Ehrerbietung dem Umstand geschuldet war, dass man Carya hier für eine Art Prophetin hielt, die alles Leid, das mit dem Sternenfall gekommen war, wiedergutmachen würde, vermochte sie nicht zu sagen. Sicher spielte es eine Rolle, dass sie die Frau war, der die silbrig weiße Kapsel gehörte, die vor zehn Jahren in der Wildnis abgestürzt von den Mutanten gefunden worden war und seitdem als eine Art Heiligtum verehrt wurde. Aber die Ausgestoßenen – den herabwürdigenden Begriff Mutant mochte Carya eigentlich gar nicht mehr verwenden – entsprachen auch sonst so gar nicht dem Bild der barbarischen, Menschen fressenden Schrecken, als die sie die Propaganda des Lux Dei darstellte.
    Und genauso wie das Bild der Bürger von Arcadion über die Wildnisbewohner verzerrt war, entsprach auch ihre Vorstellung von der Wildnis selbst nur ansatzweise der Wahrheit. Die Todeszonen, in denen Strahlung und Gifte jedes Leben nach wie vor unmöglich machten, existierten tatsächlich. Carya hatte die gelbbraune Einöde in der Ferne gesehen – das versehrte Land, das sich von den Ereignissen der Dunklen Jahre niemals erholt hatte. Aber es gab auch ganz andere Landstriche, in denen die Natur, weitgehend unberührt von Menschenhand, blühte und gedieh, wie im Fall dieses Waldes, dem etwas regelrecht Urtümliches anhaftete.
    Sie erklommen einen weiteren Hügel. Jenseits des Kamms erstreckte sich eine weite Senke, an deren Grund ein kleiner

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