Im Schatten des Palazzo Farnese
am Fenster und beobachtete sie, während man den Bischof abführte. Laura sah Vitelli nicht an, und er sie auch nicht. Die beiden Freunde aus Kindertagen trennten sich ohne einen Blick. Laura nagte an den Lippen und rauchte mit jener souveränen Zerstreutheit, die sie die zu Boden fallende Asche vergessen ließ. Den Kopf geneigt, betrachtete sie erschöpft ihre Hände, mit jener Gleichgültigkeit und Trauer, die große Erschöpfung mit sich bringt. Richard Valence beobachtete sie, er suchte in ihrem Gesicht nach der Antwort, die noch fehlte. Er wußte jetzt,daß Lorenzo Vitelli Henri vergiftet und Maria Verdi die Kehle durchgeschnitten hatte. Er wußte es, weil die Fakten es bewiesen. Endlich verstand er die tatsächliche Verknüpfung der Ereignisse und begriff, wie der Bischof sie seit dreizehn Tagen so souverän manipulieren konnte. Aber er wußte nicht warum. Er wartete darauf, daß Laura redete.
Laura hatte ihre Stirn in die Hand gestützt, und es fiel ihm schwer, den Blick von ihr zu wenden.
Seit dem schweigsamen Aufbruch von Vitelli und den Polizisten stand Nero an den Türrahmen gelehnt, das zum Schlitz verengte linke Auge starr auf Valence gerichtet. Valence bemerkte, daß Nero sah, wie er Laura beobachtete. Er wußte, Nero war imstande, die Gedanken auf seinem Gesicht zu lesen, aber in diesem Moment war er unfähig, sein Gesicht unbeteiligt erscheinen zu lassen. Es war ihm egal.
Nero lächelte, Nero lebte wieder auf, seitdem er beinahe Rom in Brand gesteckt hätte. Er fragte sich, wer von ihnen als erster das Schweigen brechen würde, das andauerte, seit der große Bischof vorhin gegangen war. Er selbst hatte keine Lust dazu. Diese benommene Stille, jetzt, wo sie alle zum erstenmal seit dreizehn Tagen schwiegen, war so angenehm und so verstörend. Er verschaffte sich Klarheit über Richard Valence, indem er an seinem Augenwinkel zog, und das gefiel ihm. Wenn er das Auge losließ, verschwamm Valences Bild, und wenn er aufs neue zog, wurde Valence scharf, mit seinem blauem Blick, den in die Stirn fallenden schwarzen Strähnen und seinem unregelmäßigen Atem. Nero hatte Valence kaum kennengelernt, aber er war sicher, der Mann befand sich seit mehreren Tagen nicht mehr in seinem Normalzustand, und das mitzuerleben gefiel ihm. Sehr sogar. Das Schauspiel heftiger Leidenschaft hat schon immer die Prinzen beglückt, dachte Nero.
Er löste sich schlaff von der Tür und holte eine Flasche Schnaps.
»Ich bin sicher, daß alle hier lieber betrunken wären«, meinte er.
Ohne Eile machte er die Runde durchs Zimmer und reichte jedem ein Glas. Als er zu Laura kam, ging er in die Hocke und drückte ihr das Glas in die Hand.
»Und wozu das alles?« fragte er sie. »Für nicht viel. Weil Monsignore der Vater von Gabriella ist.«
Laura sah ihn ängstlich an.
»Woher weißt du das, Nero?«
»Das springt in die Augen. Ich habe es immer gewußt.«
Valence war so überrascht, daß er nach Worten ringen mußte. Er sah Claudius an, der erstarrt war, und Gabriella, die nichts zu hören schien.
»Aber wenn du das schon wußtest, verdammt«, sagte er zu Nero, »warum hast du dann nicht von Anfang an alles verstanden?«
»Ich denke doch nicht«, erwiderte Nero und erhob sich.
»Was tust du dann?«
»Ich regiere.«
Er sah sie lächelnd an.
»Was warten wir noch, um uns zu betrinken?« fügte er hinzu.
Valence lehnte sich schwerfällig ans Fenster. Langsam legte er den Kopf in den Nacken. Er mußte jetzt die Decke ansehen, nur noch die Decke ansehen. Er mußte jetzt nachdenken, nichts anderes als nachdenken. Natürlich hatte Nero recht, er hatte so recht. Und er selbst hatte alles übersehen. Gabriella war die Tochter von Lorenzo Vitelli, die Tochter des Bischofs. Das war wirklich das einzige, was man wissen mußte. Alles andere war danach ganz einfach. Henri Valhubert, der von der Existenz Gabriellas erfährt, dem unehelichen Kind, das man ihm all die Jahre verheimlicht hat. Von da an ist er erledigt. Er ist erledigt, weil er esherausfinden will, das ist nicht zu verhindern. Er will es herausfinden, und alles setzt sich in Gang. Ohne irgendwelches Mißtrauen sucht er seinen Freund Lorenzo auf, um mit ihm über Gabriella zu reden. Vielleicht hat ihn die Reaktion des Bischofs beunruhigt, vielleicht hat er plötzlich die vage Ähnlichkeit wahrgenommen, die Vater und Tochter verbindet, oder aber er hat diese Vaterschaft aus all dem geschlossen, was er über Laura und Lorenzo weiß. Was hatte das für eine Bedeutung?
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