Im Schatten des Pferdemondes
nicht leiden lassen. »Unter der Voraussetzung«, sagte er dennoch streng, »daß ich auch gleich das Kalb behandle.«
»Sicher, keine Frage, bin froh, daß Sie mich darauf hinwiesen ... äh ... nun ja.«
»Und Sie denken an den Gemeinderat?«
»Aye. Und an Ihren Scheck. Ich werde ihn sofort holen.« Er hastete aus dem Stall. Eric sah ihm schmunzelnd nach und erblickte dabei Wolf, der wedelnd und kleine Nasenstüber austauschend Bekanntschaft mit der reizenden Colliehündin der Sims' schloß. Der gedämpfte Sonnenschein eines milden Herbsttages spielte auf dem Fell der Tiere. Die Landschaft leuchtete in den Farben von Feuer und edlen Metallen, die Luft war wie Balsam, und der stetige leichte Wind trug einen stärkeren Geruch von Seetang und Salz als im Sommer. Er fühlte, wie sich seine Seele diesem Land einmal mehr öffnete
– es war eine Empfindung, die er an jedem einzelnen Tag immer und immer wieder erlebte: Er liebte dieses Land.
Und er liebte die Hickmans. Und die Arbeit als Tierarzt. Alle wollten, daß er blieb, weil sie ihn achteten und schätzten, weil sie seine Hilfe brauchten oder sogar weil sie ihn liebten. Und auch er wollte bleiben. Aber wenn er mit dieser Arbeit fortfuhr und die Pferde behandelte, würde er sehr bald aufgerieben sein. Die Nächte, in denen er mehr als vier Stunden Schlaf bekam, waren selten. Und wenn er die Pferde zugunsten der Arbeit als Tierarzt aufgab, bedeutete es, seinen Traum aufzugeben, und das konnte er nicht. Er hatte diesen Traum zu lange geträumt, er hatte ihn durch seine Kindheit getragen und ihn alle Schmerzen, Enttäuschungen und Demütigungen hinnehmen lassen. Der Traum und er waren eins. Ihn aufzugeben, hieße, sich selbst aufzugeben.
Schließlich würde er sich in Connemara oder Kent ebenso verlieben, gerade so, wie er sich in neue Pfleglinge verliebte, wenn ihm ein geheiltes Pferd weggenommen wurde. Außerdem würde er nun bald über die notwendigen Mittel verfügen, um den Traum von seinem eigenen Gestüt Wirklichkeit werden zu lassen. Über all die Jahre hatte sich eine erkleckliche Summe angesammelt. Er sollte bald beginnen, sich nach einem geeigneten Landstück umzusehen. Spätestens, wenn Solitaires Fohlen geboren war.
Sein Blick wurde sehnsüchtig, als er sich dieses Fohlen vorstellte. Vielleicht würde es dunkelgrau wie seine Mutter sein, oder golden, oder rot, je nachdem, wer sein Vater war, aber auf jeden Fall würde es vollkommen sein, eine Schönheit, in der sich alle Vorzüge der beteiligten Blutlinien mischten.
Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich um und ging wieder zu der kranken Kuh. Ihr Kopf wandte sich ihm zu, ihre Augenhöhlen waren eingesunken durch den Schmerz, den sie geduldig litt.
»Ist gut, Mädchen«, murmelte er und streichelte ihr Gesicht. »Ich muß deinen Fuß aufschneiden und eine Menge Eiter herauslassen. Dann geht's dir gleich viel besser.« »Zwillinge!«
Emily starrte ihn entsetzt an. »Sind Sie ganz sicher, Eric?« Er hob die Schultern, fühlte sich ebenso verzweifelt wie sie. »Ganz sicher. Ich habe zunächst gehofft, ich hätte mich geirrt, und bat daher einen erfahrenen Kollegen um ein Konsil, als ich mit ihr in Glasgow war: er kam zu ganz dem gleichen Schluß. Solitaire trägt Zwillinge.«
Sie barg ihr Gesicht in den Händen. »Das ist eine Katastrophe. Sie wird sie abstoßen.«
Mit etwa achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit, dachte Eric.
»Wenn wir eines wegspritzen?« fragte Emily zaghaft. Sie hob den Kopf.
»Wenn es komplikationslos abgestoßen wird, sind wir eine große Sorge los. Und sie ist in einem Stadium der Trächtigkeit, in dem es gerade noch möglich wäre. Der Kollege riet allerdings davon ab.«
»Warum?«
»Ich erzählte ihm natürlich von ihr ... das mußte ich, um ihn ins richtige Bild zu setzen. Er sagte, manche Stuten reagierten sehr sensibel auf einen solchen Eingriff.«
»Inwiefern?«
»Bei Kaninchen gibt es ein seltsames Phänomen: wenn trächtige Weibchen spüren, daß es nicht genug Nahrung oder andere Widrigkeiten geben wird, wenn ihr Nachwuchs zur Welt kommt, resorbieren sie die Embryos. Ein vergleichbar extremes Phänomen findet man bei Pferden – nur daß sie das Ungeborene nicht in ihren Leib zurücknehmen, sondern abstoßen.«
»Und er meint, Solitaire würde das tun.«
Er schwieg. Es war grauenvoll genug, auf die Scherben seines Traumes zu blicken, ohne Emily die Sachlage verständlich machen zu müssen.
»Und ... und was meinen Sie? Eric, wie ist Ihre Meinung dazu? Sie kennen sie. Er hat nur
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