Im Schatten des Pferdemondes
einen Bericht über sie bekommen.«
»Ich glaube, sie würde es tun. Sie spürt, daß sie ein neues Leben trägt, aber natürlich ist sie nicht in der Lage zu begreifen, daß es zu ihrem Besten geschieht, wenn ein Teil dieses Lebens ... nun ... unwirksam gemacht wird. Sie wird nur den Verlust fühlen. Sie wird glauben, daß dieses ganze Leben verloren ist, und gleichgültig werden. Der Instinkt der Arterhaltung, der einer Stute bestimmte Verhaltensweisen auferlegt, wird absterben.«
Emily schwieg lange, das Gesicht in den Händen. Ein leises Zittern schüttelte ihre Schultern. »Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe«, sagte sie schließlich, »daß die Wahrscheinlichkeit, beide Fohlen zu verlieren, noch größer ist, wenn eines weggespritzt wird, als wenn wir nicht eingreifen.« Sie sah ihn an.
»Ich fürchte, ja.«
»Wie sind Solitaires Chancen, wenn wir nichts unternehmen?
Ich meine, abgesehen von den Fohlen? Wäre sie in der Lage, eine Zwillingsträchtigkeit zu überstehen? Sie ist sehr zart.«
»Sie müßte unter ständiger Aufsicht sein und sehr sorgfältig gepflegt werden.«
»Sie dürfte nicht draußen bei der Herde bleiben?«
»Ich halte das nicht für gut. Die Koppel und der Stall wären besser für sie. Bei einer Parforcejagd, wie freilaufende Pferde sie immer mal wieder veranstalten, könnte sie leicht die Fohlen verlieren.«
»Ihr erstes Fohlen ist Ihnen versprochen, Eric. Ich stehe zu meinem Wort. Tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, um diese Zwillingsfohlen auf die Welt zu bringen, und beide werden Ihnen gehören. Ich will nur, daß der Stute nichts geschieht.«
Es bedeutete, daß er noch für geraume Zeit hier bleiben mußte. Turner würde mahnen. Nun gut, sollte er mahnen.
Auf Solitaires Nachkommen sollte sein Traum gebaut werden. Aber auch ohne dies hätte er es nicht über sich gebracht, die kleine Stute, die er so sehr liebgewonnen hatte, mit ihrem Schicksal allein zu lassen.
Sein kleiner Austin verfügte unter dem abblätternden Lack nur über einen einzigen Luxus: Eric hatte ein Autoradio mit Kassettenrekorder installieren lassen, und wenn er unterwegs war, hörte er seine Musik: Tschaikowsky, Beethoven, Debussy, Grieg. Zur Zeit war wieder einmal Vivaldi sein Favorit: Die vier Jahreszeiten. In der herbstlichen Landschaft, durch die ihn der tapfere kleine Wagen trug, umgaben ihn die Klänge des Frühlings: »La Primavera«. Selbst an einem regnerischen Tag entstand bei diesen Klängen in ihm das Bild von blauem Himmel, sanftem Sonnenschein auf grünen Hügeln und schimmerndem Wasser, und die starken Düfte von Erde und Gras und Wasser waren um ihn. Er mußte nicht einmal die Augen dazu schließen. Mehr noch als das Frühlingsconcerto liebte Eric »L'Estate«, den Sommer. Dieses langsame, schwingende Heranpirschen, das Anlaufen, Verhalten, dieses verhaltene Tanzen, das darauffolgende Davonwirbeln, Verhalten, Vorbereitung, Stille. Sanftes Dahingleiten. Und dann, machtvoll wie ein starker Fluß, der über eine Stromschnelle schießt, die mitreißenden, aufwühlenden Klänge, als wäre das Bewußtsein in einen Wassertropfen eingeschlossen, der immer schneller dem unten wartenden Wasser entgegenschnellt.
Eric tauchte zurück in die Wirklichkeit, als er von Wolf gefolgt aus dem Wagen stieg und Danny über den Hof auf sich zukommen sah.
»Was gibt es diesmal, Danny?« Sie schüttelten einander die Hände zur Begrüßung, und Eric winkte freundlich zu Lizzy hinüber, die Daniel II. auf dem Arm trug und im Hauseingang stehen geblieben war. Sie winkte zurück. Ihr Gesicht sah sehr weiß aus.
»Daisy steht nicht auf.« Dannys verhärmtes Gesicht war unglücklich. Kein Wunder. Die sechs Kühe waren lebenswichtig für ihn.
»Daisy? Die habe ich doch vor ein paar Tagen wegen
Milchfieber behandelt?«
»Aye. Aber sie steht nicht auf.«
»Oh.«
»Lizzy macht Wasser für Sie heiß. Ich hole es gleich.« »Gut.«
Sie standen einander in der dunklen Stallgasse gegenüber
und starrten abwechselnd an die Decke, auf den Boden oder auf die Kuh. Alles schien besser, als einander direkt anzusehen. Dann rief Lizzy, Danny trottete zum Haus und kam mit einem Eimer heißem Wasser, einem Stück Seife und einem Handtuch zurück.
Eric schob seinen Arm in die Kuh. Ja, ganz wie er gedacht hatte. Nach der Geburt waren die Hüftgelenke noch nicht wieder so, wie sie sein sollten. Er seifte seinen Arm ab und fragte: »Wie heißt doch gleich der Abdecker hier, Danny?«
Danny wurde noch blasser. »Ist's so
Weitere Kostenlose Bücher