Im Schatten des Pferdemondes
hier verbringen würden. – Oh, entschuldige, Wolf. – Wir fünf, sollte ich sagen.« Sie beugte sich über den plötzlich erhobenen Kopf des Hundes. »Ich habe dich natürlich nicht vergessen, Lieber. Das darfst du nicht denken.«
»Hier bei dir?« fragte Eric erfreut. Ihre Hände trafen sich in Wolfs Pelz.
»Hier bei uns«, korrigierte sie sanft. Nie zuvor hatte sie einem Mann den Schlüssel zu ihrer Wohnung gegeben: Dies war ihre Burg. Niemand konnte hinein, wenn sie es nicht wünschte. Nicht einmal Alan besaß einen Schlüssel.
»Mein Truthahn ist vorzüglich«, sagte sie lockend. »Claire wird er gefallen, und wenn er ihr gefällt, werdet ihr, du und David, ihn auch mögen. Und dazu geschmorte Pilze und ...«
»Hör lieber auf. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
– Das wird ein schönes Fest.«
Doch Erinnerungen verdüsterten plötzlich seine Augen: Weihnachten war immer so kalt gewesen. Die Ruhe auf den Straßen. Die vorbeihuschende, so ganz und gar nicht alltägliche Freundlichkeit der Menschen – die nichts mit ihm zu tun hatte. Er stand ausgeschlossen, er hatte keinen ihm nahstehenden Menschen, zu dem er eilen konnte.
Es gab die Pferde. Sie wußten nichts von dem Fest, aber er gab ihnen eine zusätzliche Futterration und redete mit ihnen. Es war gut, die sich ihm zuwendenden Köpfe zu sehen, die intelligenten Augen in den schönen Gesichtern, die aufmerksamen Ohren, die feinen Nüstern, die in ihr Futter schnoberten. Er hatte die Erinnerung an diese Wärme und Zufriedenheit sorgfältig in seiner Seele verwahrt und mit nach Hause genommen, damit sie ihn wie eine zusätzliche Decke einhüllte. Manchmal hatte er es sogar vorgezogen, im Stall zu schlafen; wenn die Erinnerungen an die zankhaften Weihnachtsfeiern im Waisenhaus zu lebhaft waren.
Er erinnerte sich auch an brennende Tränen, die er als Vierjähriger tief in der Nacht in seinem Bett vergossen hatte: niemand wollte ihn haben. Gerade zur Weihnachtszeit gab es viele Adoptionen: Babys um ihn herum wurden adoptiert, und die Erwachsenen, die das kleine Bündel in Empfang nahmen, sahen so unbeschreiblich glücklich aus. Ältere Kinder als er wurden adoptiert. Er wurde von vielen kritischen Augenpaaren gemustert, aber niemals zeigte jemand Interesse. Das Waisenhaus blieb sein Heim. – »Du bist anders als andere Kinder«, wurde ihm gesagt. »Du hast etwas an dir, das in Menschen Ablehnung hervorruft.«
Wie ein Feuermal waren diese Worte gewesen. Tiere lehnten ihn nicht ab. Und er hatte diese Vorliebe für Pferde. Es bedurfte nur eines einzigen Fotos eines Pferdes, und bis tief in die Nacht zeichnete er Pferdeköpfe mit langen Mähnen, schlanke Pferdebeine in graziöser, kraftvoll voranschnellender Bewegung. Er folgte Kutsch- oder Reitpferden, denen er in der Stadt oder in der ländlichen Umgebung begegnete, über viele Meilen zu ihrem Heim. In ihrer Nähe, wenn sie versorgt worden waren, gab es Ruhe, Geborgenheit, Zuneigung; ganz, wonach er sich sehnte. – So hatte er begonnen, sie verstehen zu lernen. Er hatte begriffen, was für sie wichtig war.
Und dann war da Ted gewesen: der erste Mensch, der ihm das Gefühl gab, etwas wert zu sein: »Kleiner, du bist was Besonderes. Viele Kinder wollen Pferde tätscheln und reiten lernen, aber wenn sie erst mal herausfinden, welch harte Arbeit es ist, reiten zu lernen – ein Pferd zu führen, statt es zu zwingen! – geben sie auf. Oder sie werden zu harten Reitern, und dann gibt's keine Verbindung mehr zwischen Pferd und Reiter – gib mir mal deine Hände!«
Der alte Mann hatte seine kleinen Bubenhände ergriffen und war mit erstaunlich zarten Fingerkuppen über deren dünne Innenflächen gefahren. »Du hast gute Hände, Junge. Feine, aber starke Sehnen, und dünne Haut. So was nennt man sensible Hände. Versuche nie, die Kraft dieser Hände – und sie werden einmal sehr stark sein – gegen ein Pferd einzusetzen. Am Anfang magst du siegen, doch Pferde lernen sehr schnell, und bevor du dich versiehst, wird das Pferd einen Trick aufgetan haben, um sich deiner Kraft zu entziehen. Sie sind viel stärker als Menschen. Wenn du sie grob behandelst, geht der Schuß mit Sicherheit nach hinten los.«
»Ich weiß.«
»Ja, du weißt. Ein seltsames kleines Kerlchen bist du. – Nutze die Empfindsamkeit in deinen Händen. Laß diese Haut«, erneut rieb er kurz über die dünnen Innenflächen der Kinderhände, »laß sie niemals rauh und hart werden. Trag Handschuhe, wann immer es sich einrichten läßt. Keine Wolle,
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