Im Schatten des Pferdemondes
gestemmt. Sie war an sanfte Behandlung gewöhnt. Immer war sie zuerst angesprochen worden, bevor man sich ihr näherte. Davon konnte hier nicht die Rede sein, an diesem düsteren Ort. Die anderen waren gekommen und hatten sie von hinten zu schieben versucht, aber sie hatte sich geweigert, bis sie auf dem Lehmboden saß und den Kopf wie einen Kolben schwenkte, um freizukommen. Da war sie geschlagen worden, zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Empfindung der Beleidigung war viel stärker als der Schmerz. Ihr Geist hatte sich unter diesen Schlägen gekrümmt wie der stolze und freie Geist eines Kindes, das ungerechtfertigte Prügel empfängt.
In diesen Augenblicken hatte sie gelernt zu hassen. Als sie nicht auf die Beine zu bringen war, hatte man sie niedergeworfen. Sie fühlte wieder die knieende Gestalt auf ihrem Hals, die ihr das Ohr verdrehte. Sie hatten ihr das Maul mit schmutzigen Tüchern zusammengebunden und ihre Beine aneinandergefesselt. Über Stunden hatte man sie liegen gelassen. Dann hatten sie wieder versucht, sie auf den Transporter zu zwingen, und als sie erneut gegen sie kämpfte, hatten sie ihr Gewichte aufgepackt, die ihr die Beine gebeugt hatten, schwer auf ihren stolz erhobenen Nacken drückten.
Sie war ihnen entkommen, als sie ihr die Beine auseinanderbinden mußten für einen weiteren Versuch, sie auf den Transporter zu treiben. In diesen Minuten hatte sie das gezielte, tödliche Schlagen gelernt, und eine brennende panische Angst vor Zweibeinern.
Ihr Kopf streckte sich lang und entspannt über das Stroh. Sie war frei. Er hatte sie befreit. Er war alles für sie. Er hatte ihr die Furcht genommen.
Doch die Quelle der Angst konnte er ebensowenig auswischen wie die Erinnerung an die jagenden Stimmen, die ihr gefolgt waren, als ihr der Ausbruch gelungen war, diese Stimmen, die sie über das Gelände getrieben hatten, auf dem sie, halb erstickt von den Fetzen um ihre Nase, immer wieder von dem glänzenden Drahtzaun aufgehalten worden war. In tiefster, angstvollster Verzweiflung schließlich hatte sie sich nach Tagen zwischen den Drahtsträngen hindurchgezwängt und war zu ihrer Herde gestoßen. Die Stimmen waren ihr gefolgt; doch der Hengst, wirbelnd wie ein roter Orkan, war gegen die Eindringlinge gestürmt und hatte sie vertrieben. Die Stimmen waren wiedergekommen, beinahe jedesmal, wenn die Herde sich in der Nähe des Grenzzauns aufgehalten hatte. Nur Stimmen, keine Gestalten, die Excalibur hätte angreifen können – und so hatte er begonnen, diese Gegend zu meiden. Doch da war Solitaire der Klang einer menschlichen Stimme bereits unerträglich geworden. Bis zu jenem Tag, an dem sie in eisiges Wasser getrieben worden war und gelernt hatte, auf diese weiche dunkle Stimme zu hören.
Wieder hob sie den Kopf und roch an ihrem Leib.
Er wünschte, daß sie dieses Leben austrug. Er hatte ihr das Vertrauen zurückgegeben. Sie würde ihm geben, was er sich wünschte.
24
» You took your life as lovers often do but I could have told you, Vincent, this world was neuer meant for one as beautiful as you.«
Vier hohe schlanke Kerzen erleuchteten Elaines Wohnzimmer, eine in jeder Ecke. Elaine kam herein und kniete hinter Eric nieder, der bei ihrer Stereoanlage kauerte. Sie umarmte ihn von hinten und schmiegte ihr Gesicht an seine Schulter. »Es ist schön, nicht wahr«, flüsterte sie. »Wenn es nur nicht so traurig wäre.« Die leise Klage für Vincent van Gogh klang aus. »Such doch etwas anderes aus«, bat sie. »Traurige Musik ist nicht die richtige Untermalung für einen stimmungsvollen Abend, und wir haben doch immer so wenig Zeit füreinander. Warum spielst du nicht Henry?«
Sie sah, daß er etwas aus seiner Tasche nestelte, aber bevor sie erkennen konnte, was es war, sagte er: »Mach einen Moment die Augen zu, ja?« Lächelnd gehorchte sie.
Sie kannte das Lied nicht, das gleich darauf erklang, aber die Geschichte berührte sie, und ein unerklärliches Beben breitete sich in ihren Muskeln aus, als sie den Refrain hörte: »Some of God's Greatest Gifts ... Are Unanswered Prayers.« Fragend blickte sie ihn an.
»Ich bin nicht sehr begabt dafür, jemanden auf die Folter zu spannen«, sagte er und strich über ihre Wange. »Schon gar nicht jemanden, den ich liebe.«
Leise, stockend, berichtete er von dem Gespräch mit Mr. Sims und der Entscheidung, die er getroffen hatte. Fassungslos starrte sie ihn an. »Aber es war das Wichtigste in deinem Leben«, hauchte sie. »Was hat dich dazu gebracht, deine
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