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Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Felice
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nach einem Anzeichen zu suchen schienen, ob ihm mein Gesicht oder meine Gestalt irgendwie bekannt vorkam. Zu meiner Verwirrung starrte er mich noch einige Herzschläge länger an. Dann lehnte er sich vor.
    „Erzähl mir von den Brücken, die dein Volk baut“, forderte er mich auf.
    „ Brücken?“
    „Ja, die Bauwerke, die die unglaublichen Weiten eurer Schluchten überspannen.“
    „Wir spannen sie zwischen Ankern, die an beiden Rändern der Schlucht befestigt werden.“
    „Und womit? Seile würden schnell verrotten.“
    „Wir benutzen Seile aus geflochtenem Draht.“
    Und wie wird dieser Draht gezogen? Ist Kupfer als Material nicht zu weich? Was ist eine Legierung? Wie bekommt man ein Feuer heiß genug, um eine Legierung herzustellen? Der Erobererkönig durchlöcherte mich geradezu mit Fragen nach der Konstruktion und dem Aufbau der Tafellandschaft. Und ich, eine Kartographin, hatte Schwierigkeiten, ihm so ausführlich zu antworten, wie er es wünschte. Meine Erfahrungen mit Brücken beschränkten sich darauf, daß ich sie schon mal überquert hatte, und was die Herstellung von Bronze- oder Messingdraht betraf, so wußte ich darüber noch weniger.
    „Wer kann mir diese Fragen denn beantworten?“ meinte er schließlich, erbost über meine eher nichtssagenden Angaben und totale Unwissenheit.
    „Andere Akademer – der Metallurgist, der Architekt.“
    „Dann sollen sie sofort zu mir kommen“, bestimmte er.
    Ich rutschte nervös auf meinem Platz herum, und eine nach Minze riechende Duftwolke hüllte mich ein. „Das geht nicht“, entgegnete ich.
    Er runzelte die Stirn, und sein Schwanz schlug ärgerlich. Sein Nackenpelz plusterte sich auf, als er rief: „Meinen Befehlen ist umgehend Folge zu leisten!“ Seine klugen Augen zwinkerten nun nicht mehr.
    „Der Krieg hat uns viele Verluste gebracht“, sagte ich und bemühte mich dabei, ruhig zu bleiben. Seine Stimmung hatte sich derart abrupt geändert, daß ich unsicher war, wie ich reagieren sollte. Er sah zum Fürchten aus. „Akadem wurde auf zwanzig sehr alte Männer und Frauen, mich und ein paar Novizen und Assistenten dezimiert. Trotz ihres Alters könnten einige von ihnen die lange Reise unternehmen, sobald die Gebirgspässe völlig schneefrei sind. Im Augenblick wäre eine solche Wanderung jedoch zu gefährlich und entbehrungsreich, vor allem für die älteren Leute.“
    Er sprang von seinem Polster auf und lief aufgeregt im Vorzimmer hin und her. „Wie viele haben sie umgebracht?“
    Mir war klar, daß er, falls er wirklich so besorgt war, wie er tat, sich längst in dieser Richtung hätte eingehend informieren können, ehe er das Tafelland verließ. Ich äußerte diesen Gedanken aber nicht, sondern meinte ruhig: „Elf Akademer und achtzehn Novizen kamen während der Kämpfe ums Leben.“
    „Dabei hab’ ich ihnen eingeschärft, die wertvollen und wichtigen Persönlichkeiten zu verschonen“, sagte er mit kaum verhohlener Wut. „Elf, sagtest du?“
    Ich nickte. „Wir sind ein einfaches Volk. Es ist schwer, den Bauern vom Patrizier zu unterscheiden, wenn beide ein Schwert tragen.“
    „Einfach?“ Er verharrte mitten im Schritt und starrte mich an. „Die Leute deines Volkes fertigen Messer härter als Granit, errichten Bauwerke höher als zwei Schwanzlängen, die noch nicht einmal bei einem Erdbeben zusammenstür zen, und stellen Steingut in den phantastischsten Formen her – und du bezeichnest euch als einfach?“
    Ich hatte der Ungeschlachtheit und Grobheit seiner Behausung nur wenig Beachtung geschenkt, denn er hatte ja gleich zu Beginn bemerkt, daß er sich hier nur vorübergehend aufzuhalten gedachte. Nun fragte ich mich, ob er mir nicht eine eindeutige Lüge aufgetischt hatte, damit ich ihn nicht nach seiner nächsten Umgebung beurteilte. Schämte er sich etwa für das, was er war? „Die Gebirgsstädte waren lange vom Tiefland isoliert“, sagte ich einschränkend, „und unser Lebensraum ist sehr unwirtlich. Wir haben halt versucht, aus dem, was uns an Material zur Verfügung stand, das Beste zu machen.“
    „Und das ist euch gut gelungen, würde ich meinen.“ Er nahm einen Pokal von einem Tablett mit einigen Gegenständen darauf, das bei der Feuerstelle stand, und warf ihn mir zu. „Dieses Gefäß sieht aus, als bestünde es aus Silber, dabei ist es aus einem Material hergestellt, das viel härter ist. Es stammt aus deiner Provinz.“
    Ich drehte den Pokal um und betrachtete das Signum des Handwerkers. Das Gefäß war tatsächlich

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