Im Schatten des Ringes
blickten ernst. „Tapfer. Ich kann mir denken, daß es für Euch nicht leicht ist, Eure Meinung über das Menschsein der Sklaven beizubehalten, während alle in der Stadt Euch ächten. Ich bewundere Euch dafür, daß Ihr diese Bürde auf Euch nehmt.“
„Aber ich habe es mir doch gar nicht selbst ausgesucht“, sagte ich. „Die ganze Angelegenheit wurde schrecklich aufgebauscht, und ich wurde vollkommen überrascht.“
„Tut es Euch leid, so gehandelt zu haben?“
Ich dachte einen Moment nach. „Die Konsequenzen können mir nicht gefallen, andererseits kann ich aber auch nicht die Wahrheit leugnen, selbst wenn ich mir mein Leben dadurch erleichtern kann.“
„Was wird jetzt geschehen?“
Ich zuckte die Achseln. „Ich hoffe, der Tempel wird seine Einstellung überdenken oder daß der König sich über die Hüterinnen hinwegsetzt und ein Machtwort spricht.“
„Werdet Ihr Eure Meinung ändern?“
„Das brauche ich gar nicht. Sklaven haben ihr Wesen als Menschen bewiesen, seit sie zu sprechen lernten … und sogar schon vorher, wenn jemand sich die Mühe machte, sich näher mit ihnen zu beschäftigen. Die Tatsachen liegen auf der Hand.“
Sema war an Teon herangekrochen und rollte sich auf seinem Schenkel zusammen, um zu schlafen. Er massierte ihre Wirbelsäule, damit sie sich entspannte. „Ihr habt mehr Vertrauen zu den Menschen als ich“, sagte Teon. „Sie sehen nur, was sie sehen wollen –, daß unsere Augen sich von denen der Menschen unterscheiden und daß wir seltsame Schlafgewohnheiten haben.“
„Physische Unterschiede sind am einfachsten zu erklären und von ihnen am ehesten zu akzeptieren. Einige von euren physischen Unterschieden sind sehr wertvoll – eure Kraft und eure Fähigkeit, weite Entfernungen zu überblicken …“
„Nur wenige sehen darin einen Vorteil“, meinte Teon. „Sklaven bekommen nur sehr selten Gelegenheit, ihre Fernsichtigkeit zu nutzen. Wer außer einem Landkartenzeichner braucht Einzelheiten zu erkennen, die weiter als einen Steinwurf entfernt sind? Die meisten weisen auf unsere Unfähigkeit hin, im Dunkeln zu sehen, und klagen über die Kosten, die sie aufbringen müssen, um uns mit Fackeln auszurüsten.“
Ich mußte lächeln, als ich Teon wie die Tempelhüterinnen reden hörte. Er bat mich um Unterstützung, wollte, daß ich ihm Hoffnung machte. „Ich denke doch, das ist so, Teon. Aber das ist nicht so schwierig zu begreifen wie euer unterschiedliches Verhalten. Es ist der Mythos, der die Sklaven umgibt, vor dem die Menschen sich fürchten. Wo kommt ihr her? Wenn ihr wirklich aus dem Himmel kommt – warum glaubt ihr dann nicht an die Götter? In unseren eigenen Legenden wird davon berichtet, daß ihr vom Himmel gekommen seid. Warum sind Sklaven so eifersüchtig darauf bedacht, andere Farben, Nuancen zu erfinden, wenn diese Farben im Grunde identisch sind?“
Er runzelte die Stirn. „Ihr glaubt doch nicht an die Geschichte, daß wir vom Himmel kommen, nicht wahr?“
„Nein, aber wir haben schon gehört, daß Sklaven das behauptet haben, und sie tun es immer noch voller Stolz.“
Teon schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, daß es sich so verhält, aber es ist wahrscheinlich, daß der Glaube an unsere wunderbare Vergangenheit unter den alten Sklaven immer noch sehr lebendig ist.“
„In dieser Sache bist du sehr feinfühlig“, stellte ich fest, „während du in anderen Bereichen bei weitem nicht so feinfühlig reagierst.“ Als sein Stirnrunzeln sich verstärkte, legte ich die Nadel beiseite und wies auf die Garnfäden, die er sortiert hatte. „Sieh dir doch mal an, was du da gemacht hast. Warum hast du diese beiden nicht zusammengelegt?“ Ich nahm zwei Fäden mit gleicher Farbe aus verschiedenen Bündeln.
„Der eine ist …“ Er schüttelte den Kopf. „Das Wort läßt sich nicht übersetzen. Nun … er gleicht den Pilzen, und der andere ist wie der Himmel.“
„Pilzgrau, himmelsgrau. Der einzige Unterschied liegt in der Wortwahl, und im Tafelland neigt man eher zur Bezeichnung himmelsgrau.“
Teon schüttelte den Kopf. „Die Farben sind aber nicht gleich.“
„Doch sind sie es“, beharrte ich. „Ich will dir nichts aufzwingen, Teon. Ich weiß, daß es für deinen seltsamen Ordnungssinn Gründe gibt. Diese Gründe würde ich gerne kennenlernen. Riechst du in den Farben einen Unterschied? Liegt deiner Wahl vielleicht ein bestimmter Instinkt zugrunde, den du nicht benennen kannst?“
„Nein, ich sehe den Unterschied“, erklärte
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