Altherrensommer
VORWORT ODER: WIE KAM ICH DRAUF ?
Versaute Witze heißen »Altherrenwitze«, langweilige Talksendungen heißen »Altherrenrunde«, schlechte Fußballmannschaften sind eine »Altherrenriege« und wenn Schmiergelder gezahlt werden, saß wahrscheinlich ein korrupter »Altherrenstammtisch« beisammen. Komiker Hape Kerkeling als »Horst Schlämmer« und Kabarettist Frank-Markus Barwasser als »Erwin Pelzig« erhöhen stilsicher ihren Lachfaktor, indem ihnen eine »Herrenhandtasche« ums Handgelenk baumelt. Der »Herrenreiter« in Omas Fotoalbum, die »Herrentorte« auf Opas Kaffeetisch und das »Herrengedeck« in Papas Eckkneipe wirken ähnlich vorgestrig. Fehlt noch die Abteilung Freizeit und Tourismus: Der klassische Strandliegen-Reservierer in Karikaturen, Humorbüchern und -zeitschriften ist meist ein Mann. Mit Bierwampe, arthritischen Knien und weißen Tennissocken in Sandalen. Ein Mann im Alter 50 plus . Enthielte unser Sprachgebrauch ähnlich viel verbale Geringschätzung für die Frau ab 50 – es würde manche Gleichstellungsbeauftragte und Gender-Mainstream-Forscherin in Lohn und Brot bringen. Der Begriff »Altweibersommer« gleicht da nichts aus. Rein meteorologisch ist er eine der schönsten Jahreszeiten – mildes Septemberlicht, warme, aber nicht heiße Tage – und umgangssprachlich dürfte er demnächst vom eingedeutschten »Indian Summer« verdrängt werden.
Als Hörfunk- und Fernsehjournalist für mehrere ARD-Sender werde ich oft eingeladen, Referate zu halten oder Diskussionen zu moderieren. Von Kirchengemeinden und Bildungseinrichtungen, Vereinen, Stiftungen und Kulturveranstaltern. Statt in Hotels – wo ich ja doch nur vor dem Laptop hocke – lasse ich mich lieber bei den Mitarbeitenden der Veranstaltung einquartieren. Privat, zu Hause. Für
»richtige« Geschäftsreisende mag das eine Schreckensvision sein, aber für mich ist der nächtliche Absacker im Privatquartier eine Quelle erstaunlicher Biographien, Höh-end Familiengeschichten, Meinungen und Lebenserfahrungen. Fast immer wohne ich bei Leuten über 50. Weil sie »Zimmer frei haben, seit die Kinder aus dem Haus sind«. Ob die wirklich aus dem Haus sind oder so abhängig und anhänglich sind wie eh und je, ob und wie sich das »Empty Nest Syndrom« bei Müttern ab 50 auf ihr Selbstwertgefühl auswirkt – darüber reden fast alle Frauen. Ob sie ihren erwachsenen Kindern noch etwas bedeuten, ob und wie es sich auswirkt, dass Macht und Ansehen im Beruf schwinden, welche Gefühle eine bevorstehende oder gerade vollzogene Pensionierung auslöst – darüber schweigen fast alle Männer. Von der umgangssprachlich gewordenen »Midlife-Crisis« ab Mitte 30 plaudern viele. Von der »Dritt-Life-Krise« ab Mitte 50 wenige. Von den Träumen nach Aufbruch und Veränderung, nach einem »Altherrensommer« in Familie und Gesellschaft redet man(n) besser gar nicht.
So kam ich drauf. Auf die Idee, Fakten zu sammeln und Begegnungen zu berichten aus einer Lebensphase, die Frauen zu kennen glauben und Männer selten zu erkennen geben. Nicht als Betroffener oder als Ratgeberonkel, der wohlfeile Tipps zu vergeben hätte, denn als Mann Jahrgang 1955 stehe ich erst am Anfang dessen, wovon mir berichtet wird. Aber als ein Reporter, der hartnäckig daran glaubt, dass Sie, die Leserinnen und Leser, Ihre eigenen hilfreichen Schlüsse ziehen können und sich an einigen Stellen vielleicht sogar wiedererkennen.
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... ABER SONST IST NOCH ALLES O.K.!
Was haben Sie vor diesem »aber sonst« gesagt? Das ist doch ein verräterischer Nachsatz, finden Sie nicht? Verdächtig wie die berühmte Urlauber-Beteuerung »aber sonst hat Mallorca auch ruhige Gegenden«. Aha? Also nicht nur Ballermann. Wie schön. Ich vermute, es hat Sie jemand gefragt: »Und, wie geht’s?« (Unter Männern: »Und, wie läuft’s?«) Sie haben erst einmal mit den Achseln gezuckt und ein tiefes »Och« eingeatmet. Dann haben Sie eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Beschwernisse und Schmerzen, der Sorgen und Leiden Ihres Lebens jenseits der 50 erzählt und noch während Sie sprachen, kamen Ihnen Bedenken, das höre sich jetzt aber allzu wehleidig an. Deshalb schnell hinterher geschoben: »... aber sonst, also im Großen und Ganzen ...« Pause. »... können wir nicht klagen.« Ihr Gegenüber lächelte beruhigt. »... und überhaupt und im Grunde muss man noch froh sein.« So so. Dabei war schon die erste Hälfte nur halb wahr, aber voll geschönt. Vielleicht kommen Ihnen folgende Beobachtungen
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