Im Schatten des Ringes
über die Marschrichtung, die die Expedition in der folgenden Zwienacht einschlagen würde. Chel steckte offensichtlich mit ihr unter einer Decke. Es mußte ihr nur recht gewesen sein zu hören, daß er sie wieder brauchte. Weitaus lieber wäre es mir gewesen, sie hätten ihre Fersen in den Boden gegraben und sich einfach geweigert, den Weg fortzusetzen. Aber nun mußte ich die hagere Frau betrachten, die unnatürlich nahe am Feuer hockte, und atemlos hoffen, daß die Flammen ihr vielleicht sogar so etwas wie eine Wahrheit vermittelten. Die Akoluthinnen beteten und versorgten das Feuer. Sie warfen Essenzen und andere Mischungen in die Flammen und produzierten damit grelle Lichtblitze und dicke schwarze Rauchwolken, die das eintönige Innere des Zeltes auf magische Weise mit Leben erfüllten. Baltsar, Chel und ich wurden unruhig, aber wir blieben respektvoll sitzen. Tatsächlich bewunderte ich Taranas Ausdauer. Ich rutschte einige Male hin und her, mußte eingeschlafene Beine und Arme mehrmals entlasten, ehe sie sich aus ihrer Trance weckte und sich zum erstenmal rührte.
Sie schlüpfte wieder in ihre Reisekleidung und nahm dankbar ein Getränk an, das eine der Akoluthinnen ihr anbot, ehe sie zu reden begann. Dann, immer noch in einem trance-ähnlichen Zustand oder zumindest mit ihrer ernstesten Miene, verkündete sie: „Ich habe die Glut des Frühlings gesehen.“
Mein Herz machte einen erregten Hüpfer.
„Und der Ort, von wo aus ich sie sah, befand sich bei den Palisaden am Meer in der Nähe von Prinz Chels Festung.“
Chel benutzte Taranas Atempause, um aufzustehen. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir die Glut miterleben wollen“, rief er erfreut. „Ich werde meinen Kriegern die entsprechenden Befehle geben.“
„Vielleicht war es gar nicht dieser Frühling, den sie sah“, wandte ich ein und schaute mich dabei um und wunderte mich, wohin die Krieger so schnell verschwunden waren. „Möglich, daß wir ein ganzes Jahr Zeit haben, unsere Untersuchungen durchzuführen.“ Doch Chel hörte nicht auf mich, und Tarana ignorierte mich ebenfalls.
Ebenso wie der Erobererkönig hatte ich Grund genug, die Feuervisionen der Hüterinnen anzuzweifeln; sie verschwimmen und verlieren an Gehalt, da sie mit einem Symbolismus erklärt werden, der sich nach den vorliegenden Tatsachen richtet. Aber dies hier war so simpel und klar, daß man es ganz einfach wunderschön nennen mußte. Ich zweifelte nicht daran, daß Tarana die Vision erfüllen würde, und zwar in diesem Jahr, genau wie sie es beschrieben hatte. Auch ich würde es wahrscheinlich einsehen und mich anschließend fragen, ob eine Zwienacht mehr mir die Beweise geliefert hätte, anstatt mich mit einem zerschlagenen Traum scheitern zu lassen. Im Gegensatz zum König hatte ich nicht die Autorität, die Feuervision einer Hüterin zu übergehen oder gar völlig zu streichen und außer Kraft zu setzen.
25
Niedergeschlagen verließ ich das Lager und wanderte zu einem in der Nähe gelegenen Hügel. Ich lauschte dem Quietschen des nassen Grases und den schmatzenden Lauten, mit denen der Schlamm meine Füße festhalten wollte, und wurde wieder von oben bis unten naß. Ich suchte keinen Schutz und ließ den Regen über die Kapuze und wie Sklaventränen durch mein Gesicht rinnen. Auf der Hügelkuppe blieb ich stehen und schaute hinunter auf das Lagerfeuer. Jemand entfernte sich, um mir zu folgen. Der Gestalt nach zu urteilen war es entweder Prinz Chel oder Teon. Ich wandte mich ab, verlor an die Person keinen Gedanken und richtete meine Blicke auf die fernen, verschwommenen Bergketten, die ich wohl nie überqueren sollte. Sie waren lehmgrau, mit eisengrauen Flecken und schwarzen Streifen, vom Regen verhüllt. Wäre das Gottesfeuer in der Nähe, wie ich es vermutete, hätten sie einen silbrig leuchtenden Rand haben müssen. War es möglich, daß ich mich irrte? Vielleicht entsprang meine Vorstellung von einem wie ein Pendel über die Himmelsbrücke schwingenden Gottesfeuer nur meinem Wunsch nach einer geordneten Welt. Vielleicht war ich noch nicht einmal ein echter Träumer. Ich schüttelte den Kopf. Es fiel mir schwer, mir vorzustellen, wie Flammenhüter ein Feuer anfacht, um einmal im Jahr die Frühglut erstrahlen zu lassen und damit seinen dummen Verehrern anzuzeigen, daß es an der Zeit ist, die Felder zu bepflanzen. Es ist die reinste Arroganz anzunehmen, daß ein Gott schwere körperliche Arbeiten auf sich nimmt, um die Segnungen anderer Götter zu steigern, und ich
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