Im Schatten des Ringes
fühle mich, trotz all meiner Überlegungen und aller Bereitschaft zur Kritik den Göttern nicht überlegen. Wißbegierig, ja, das war das richtige Wort, sehr wißbegierig. Es betrübte mich zutiefst zu wissen, daß ich den Rest meines Lebens fristen mußte, ohne jemals das Gottesfeuer zu sehen und ohne jemals zu erfahren, ob die Feuerstelle Flammenhüters sich auf dem Land oder am Himmel befand.
Ich hörte Laubwerk unter Ledersohlen quietschen und spürte, wie jemand hinter mich trat. Es war Teon; Chel hätte mich schon vom Fuß des Hügels aus angerufen und verlangt, daß ich ihm entgegenkäme.
„Pfadfinderin“, sprach er mich an, „braucht Ihr mich?“ Seine Stimme wurde vom Rauschen des Regens nahezu erstickt. Er hatte sich während der bisherigen Wanderung verhalten wie ein Sklave, jedoch reagierte ich sofort auf den leisen, zärtlichen Unterton in seiner Stimme.
„Nein“, entgegnete ich. „Ich bin nicht hierhergekommen, um an einer Landkarte zu arbeiten.“ Im Augenblick hatte ich wirklich wenig Lust, mich mit der Kartographie zu beschäftigen. Wenn wir das Gottesfeuer nicht mit eigenen Augen sähen, war es höchst unwahrscheinlich, daß jemand Interesse an meiner Karte von dieser Route haben würde. Denn die dort aufgezeichneten Wege führten geradezu ins Nichts.
„Ich habe Euer Arbeitsgerät mitgebracht“, meinte Teon und schlug seinen regengetränkten Poncho auf, um mir ein Sortiment in Ölpapier gewickelter Zeichenstifte sowie eine Zeichenhaut zu zeigen.
Ich schaute in Teons seltsame Pupillen, die derart groß und rund waren, daß sie nahezu die gesamte Iris bedeckten. Seltsam außerdem, weil die Iris das Nachtlicht nicht reflektierten. Und doch konnte ich in diesen Augen genauso deutlich lesen wie in Baltsars. Teon war meinetwegen traurig. Ich berührte seine Schulter, dann nahm ich ihm das Päckchen ab. „Mein Freund“, versuchte ich ihn aufzumuntern, „wir sollten lieber arbeiten, anstatt sinnlos vor uns hin zu brüten.“ Ich machte es mir im nassen Laubwerk so bequem wie möglich, während Teon seinen Poncho in ein Regendach umfunktionierte, so daß die Lederhaut trocken blieb, während ich zeichnete. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf die Zeichnung, doch er gab mir keine Details an, die ich der Zeichnung hätte hinzufügen können; der Regen und die Dunkelheit beeinträchtigten seine ansonsten überlegene Fernsichtigkeit doch stark.
Als ich meine Arbeit beendet hatte, wickelte ich die Utensilien wieder ein, reichte sie Teon, und er zog daraufhin den Poncho wieder über den Kopf. Er reichte mir eine Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen, doch ich lehnte ab und schlug mit der flachen Hand auf den Boden neben mir. „Setz dich“, forderte ich Teon auf. „Ich möchte noch nicht ins Lager zurück.“
Teon blickte hinab auf den Lagerplatz. „Es ist schon gut“, beruhigte ich ihn. „Chel macht sich wegen der Sklaven keine Sorgen mehr.“
Er ließ sich nieder. „Die Sklaven meinen, wir würden zu Beginn der Zwienacht wieder umkehren.“
Ich seufzte. „Das stimmt.“
Er schüttelte den Kopf und teilte meine Enttäuschung. „Ich bin überzeugt, der Regen hätte bald aufgehört, so daß wir das … Gottesfeuer hätten sehen können. Diese Landschaft bekommt an sich nicht soviel Regen mit. Es ist nur ein unglücklicher Zufall, daß es gerade jetzt während unserer Expedition so schlimm ist.“
„Oder die Sklaven wissen nicht mehr, wie regelmäßig der Regen wirklich hier draußen fällt“, meinte ich schnippisch.
Teon runzelte ungeduldig die Stirn. „Der Unterschied zu unserer Heimat erklärt sich aus den Eigenarten tierischen Lebens – keine Frösche, Kröten oder Schnecken, und dann dieses überaus üppige Blattwerk anstelle von Rechten und Moos. Auch gibt es hier mehr Bäume, als wir jemals gesehen haben. Ihr habt es bestimmt auch bemerkt.“
Plötzlich empfand ich aufflackernden Zorn auf Teon. Sollte ich denn in dieser Nacht wirklich von allen und jedem zurechtgewiesen werden? Lief denn nichts nach meiner Nase? „So grundsätzlich anders als in den Steppen des Tieflandes ist es hier aber auch nicht.“
„Ihr hättet Tempelhüterin werden sollen, Pfadfinderin. Ihr hättet Zuflucht zu irgendeinem Dogma nehmen können und hättet euch niemals den Kopf darüber zerbrechen müssen, warum die Welt so ist, wie Ihr sie vielleicht gar nicht mögt.“
Ich verschluckte eine erneute scharfe Antwort und saß für eine Weile schweigend da und bemühte mich, ein neu aufwallendes
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