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Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Felice
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möglich, daß wir deren Abkömmlinge sind“, sagte ich halb im Ernst, halb im Scherz. „Habt Ihr die Gemälde in den Katakomben gesehen? Vermutlich ist auf einigen davon die Stadt der Zuflucht dargestellt.“
    Er nickte. „Einige davon … beunruhigen mich.“
    „Die Bilder, auf denen am Horizont das Gottesfeuer zu sehen ist? Erinnern sie Euch an Euren Traum?“
    „Sie entsprechen ihm zwar nicht in allen Einzelheiten, doch … kommen sie ihm ziemlich nahe.“
    „Wenn Ihr in einer größer werdenden Spirale durch die Katakomben wandert, scheinen die Bilder eine Geschichte zu erzählen … von einem Auszug aus einem warmen, im Tiefland gelegenen Paradies, durch das Immernachtgebirge bis zu einem Punkt, an dem ganz eindeutig die Geschichte des Tafellandes einsetzt.“
    Er schien überrascht. „Tarana hat niemals erwähnt …“
    „Das ist eine der Spekulationen Akadems, die verblüffenderweise in einigen der Bilder Ähnlichkeiten mit der Religionsgeschichte aufweist. Andere Bilder sind offenkundig blasphemisch, zum Beispiel die, auf denen das Gottesfeuer frei und unverhüllt dargestellt ist.“
    „Wenn man es sich genau überlegt, ist es eigentlich sonderbar, daß die Bilder auf die Tempelwand gemalt wurden“, meinte er nachdenklich.
    „Die Geschichte, die sie erzählen, ergibt einen Sinn“, sagte ich. „Kommt, ich zeige es Euch.“
    Er zögerte und berührte unwillkürlich seinen Nacken, als befürchte er, daß der Anblick der Bilder erneut den Schmerz auslösen könnte.
    „Überprüft ruhig, was ich gemacht habe“, forderte ich ihn auf und streichelte seinen Nacken. „Wenn der Schmerz zurückkehrt, hat wahrscheinlich Tarana recht. Dann strafen die Götter Euch.“
    Er erhob sich und musterte mich neugierig. „Muß ich etwa eine gewisse Respektlosigkeit feststellen?“
    „Nein, nicht gegenüber den Göttern“, beeilte ich mich zu versichern. „Ich ärgere mich nur, wenn Menschen behaupten, daß die Götter direkt in unser Leben eingreifen. Damit wird den menschlichen Wesen eine zu hohe Bedeutung beigemessen, und einigen sogar noch mehr als anderen – wie Euch, Tarana oder mir.“
    Wir durchquerten die nächste Kammer und gelangten an eine Treppe, die durch den Sandsteinboden gemeißelt war und in die kühlen Gewölbe unter dem Tempel hinabführte, wo die Gemälde seit ungezählten Jahrhunderten überdauerten.
    „Wir sind einmalig, Heao, sonst würden wir gar nicht träumen.“ Er zog den Schwanz dicht an seinen Körper, denn der Korridor wurde immer enger.
    „Ich kenne einen Gerber, der träumte, seine Gestelle wären mit Albinofellen gefüllt. Als er erfuhr, daß der Kräutergärtner ein bestimmtes Albinofarn gezüchtet hatte, fragte er ihn um Rat. Gemeinsam berechneten sie die Zuchttiere und deren Paarungsanordnung nach bestimmten mathematischen Gesetzen. Im letzten Frühjahr hatte der Gerber zwanzig Albinojunge. Im nächsten Jahr wird er schon achtzig Albinos haben, und dann werden seine Gestelle mit Albinofellen gefüllt sein. Sein Traum war nicht einmaliger oder ungewöhnlicher als unsere. Visionen solcher Art hat es auf allen sozialen Stufen schon immer gegeben.“
    „Die Zerstörung des Reiches läßt sich wohl kaum mit diesen Gestellen voller Albinofelle vergleichen“, sagte der König und schüttelte den Kopf.
    „Nein, sicher nicht. Aber eure Träume bewegen sich innerhalb Eurer Möglichkeiten, Eurer Begriffswelt, genauso wie der Traum des Gerbers sein individuelles Leben betraf.“
    Während wir durch den Korridor zu unteren Kammern weiterwanderten, bemerkte ich, daß die Ohren des Königs zurückgelegt waren; offensichtlich berieten seine beiden Gehirne. Schließlich sagte er: „Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.“
    „Wahrscheinlich verhält es sich so mit allen Träumen“, sagte ich und blickte ihm in die Augen, um festzustellen, ob er mir glaubte. Er stritt es nicht ab, und ich begann bereits zu überlegen, wie ich mich gegen die Veränderungen wappnen könnte, die sein Traum ankündigte.
    Wir gelangten in die zentrale Kammer, wo sich mein liebstes Bild befand. Es stellte das Gottesfeuer dar, das am Horizont einer unglaublich hellen Welt plaziert war. Der Künstler hatte mit Meißel und Farbe geradezu ein Wunderwerk vollbracht. Bestimmt handelte es sich eher um ein Phantasiegebilde, denn die Büsche und Sträucher überragten die Leute, und die Blumen im Vordergrund waren hüfthoch und trugen Blüten, so groß wie die Hand eines Sklaven.
    Und dann waren da

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