Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Ringes

Im Schatten des Ringes

Titel: Im Schatten des Ringes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Felice
Vom Netzwerk:
Entfernung und hohe Berge dem Blick entzogen. Unser Weg hatte uns durch Schluchten und Täler geführt, die kreuz und quer zu unserer Zielrichtung verliefen und daher als Wegweiser nutzlos waren. Baltsar hatte sich völlig verlaufen und jegliche Orientierung verloren, wie es vielen Menschen passiert, wenn keine markanten Landschaftserscheinungen mehr zu erkennen sind.
    „Bist du sicher, daß du den Rückweg wieder findest?“ fragte Baltsar, denn er wußte genau, daß ich seit meiner Kindheit nicht mehr an diesem Fjord gewesen war.
    „Ich hab dich auf völlig verlassenen und hochgelegenen Wegen zu den Kupferminen geführt und bin mit dir auf geheimen Routen zu den Kohlenfeldern gewandert. Habe ich mich dabei jemals verirrt?“ Ich ließ ihn gar nicht zu Worte kommen. „Dies ist der Weg zum Fjord … oder, vielleicht, auch ins Immernachtgebirge. Ich bringe beides immer etwas durcheinander.“
    „Heao …“, sagte er scharf und deutete damit an, daß er es nicht mochte, wenn man sich über ihn lustig machte.
    „Dort findet man Obsidian“, sagte ich.
    „Und Ströme von explodierender Lava“, fügte er hinzu. Doch später fragte er: „Wieviel Obsidian?“
    Teon grinste, als wir beide Baltsar verblüfft anstarrten. War das etwa Gold, was ich in den Augen des Kaufmanns schimmern sah? Ja, das Glitzern war unverkennbar. „Ist die Gier größer als die Furcht vor heißer Lava?“
    „Ich wünschte, du würdest in deinem Geist deutlich zwischen Gier und Profit unterscheiden“, sagte er.
    Ich zuckte die Achseln und ließ mich durch seine schlechte Laune nicht beeinflussen. „Es gibt dort genug Obsidian, um eine Expedition auszurüsten und hinzuschicken. Wenn du willst, werde ich dich führen.“ Baltsar Expeditionen vorzuschlagen, war die einzige Möglichkeit, wie ich mich der Mithilfe Teons beim Anfertigen meiner Karte versichern und wie man Baltsar für längere Zeit von seiner Kurtisane fernhalten konnte. „Nun?“ frage ich, um seine Laune aufzubessern und ihn abzulenken.
    „Nicht in diesem Jahr. Ich hab’ zuviel zu tun.“
    Um meine Enttäuschung zu verbergen, beschleunigte ich meine Schritte. Sklave und Mann hatten keine Schwierigkeiten, mein Tempo beizuhalten.
    Schon bald erreichten wir den Fjord, der nicht gerade groß war – ich erinnerte mich an ihn aus den Wanderungen meiner Kindheit mit dem Gebirgsstamm – dafür war es der schönste und beeindruckendste. Die Wände stürzten nahezu lotrecht bis zum Wasser ab und wurden von schäumenden Wasserfällen überspült. Tief unten befand sich ein schmaler Landstreifen, der viel breiter gewesen war, als meine Leute ihn in einem Sommer mal als Ackerfläche nutzten.
    Auf einem Weg, den ich aus meiner Kindheit kannte, führte ich Baltsar über die Klippen nach unten. Teon, beladen mit seinem Gepäck und von seinem schwerfälligen Körper behindert, folgte uns viel langsamer. Dabei klebte er wie eine Spinne an den Felsvorsprüngen und tastete sich weiter. Sehr schnell hatten wir ihn aus den Augen verloren.
    Am Grund des Fjords ging Baltsar zum Wasser und kletterte von Felsen zu Felsen. Das Meer leckte sanft an seinen Füßen, als er die stille Bucht überschaute. Die glatte Wasseroberfläche wurde an einigen Stellen aufgerührt und warf kleine Wellen, wenn irgendwelche Lebewesen des Meeres neugierig nach oben kamen und die Wasserfläche durchbrachen.
    Zügig ging ich weiter, kam an einem Wasserfall vorbei, wo ich als Kind gespielt hatte. Der Frischwassernebel umhüllte mich, als ich aus einem Impuls heraus vom Weg abbog und zu einem Tümpel hinabkletterte, wo ich immer den Wasserbehälter unserer Familie füllte. Ich hatte diesen Kletterweg mindestens hundertmal zurückgelegt, ehe ich meine Dummheit endlich begriff. Das Wasser aus dem Tümpel war nicht süßer als das, welches man am Fuß der Wasserfälle auffangen konnte. Zeit, Entfernung, meine Bemühungen – nichts hatte daran etwas geändert. Als ich mich zu Baltsar umdrehte, fragte ich mich plötzlich, ob ich immer noch so dumm war. Der Kaufmann war immer nur mein Freund. Zeit, Entfernung, meine Bemühungen hatten auch daran nichts geändert. Traurig vergrub ich mein Gesicht in den Händen.
    Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. „Vermißt du immer noch deine Familie? Wo sind sie hingegangen?“
    Ich blickte auf und sah, wie Baltsar auf das leere Tal zeigte und den Grund meiner Sorge völlig mißverstand. „Die Pest“, erwiderte ich steif.
    „Ich hätte dich nicht bitten sollen herzukommen“,

Weitere Kostenlose Bücher