Im Schatten des Ringes
dunkle Schatten auf weiten Feldern, wahrscheinlich hervorgerufen vom Gottesfeuer. Der Himmel zeigte einen geradezu unmöglichen Weißton.
„Vielleicht ist dies die Stadt der Zuflucht“, äußerte ich meine Vermutung, „die ja, wie Ihr bestimmt längst bemerkt habt, überhaupt keine richtige Stadt ist. In einem solchen Land brauchte man sich nicht vor Regen oder Kälte zu schützen, daher verzichteten die Leute auch darauf.“
Der König runzelte die Stirn. „Das ist genau das Bild, das meinem Traum überaus ähnlich ist. Dies ist die Hölle, nicht das Paradies.“
Ich betrachtete das Bild noch eingehender. In einigen Details war es dem Bild aus meinem Traum ebenfalls ähnlich. Unwillkürlich schüttelte ich den Kopf. „Sire, die Wesen lächeln, spielen.“
„Das tun sie auch in meinem Traum. In dem Moment vor der Vernichtung warf ein riesiger Feuerblitz mächtige Schatten, welche, durch eine Behausungstür betrachtet, unheimlich anmuteten. Es geschah so plötzlich, daß die Leute völlig überrascht wurden.“ Er erschauerte. „Wir sollten zum nächsten Bild weitergehen.“
Ich führte ihn zur ersten Biegung der Spirale, und ich schaffte es, mich eines Kommentars zu enthalten, mit dem ich ihn an meine Behandlung erinnern wollte. Obwohl das Bild ihm Unbehagen bereitet hatte, war der Schmerz nicht zurückgekehrt. Tarana hatte ihn also doch nicht so perfekt konditioniert, und ich war erleichtert, erfahren zu können, daß er noch nicht vollkommen unter ihrem Einfluß stand.
Eifrig begann ich ihm die Welt so zu zeigen, wie sie gewesen war und sich immer noch darbot: im Zustand der stetigen Veränderung.
Er lauschte schweigend, als ich ihm die bei den Akademern gültigen Interpretationen der Bilder lieferte. Mächtige Eisströme wälzten sich der Stadt der Zuflucht entgegen und vertrieben ihre Bewohner in die Berge, wo das Klima immer noch angenehm warm war. Die Ozeane wichen zurück, und das Eis nahm ständig zu, bis eine ganze Reihe von Gletscher Systemen die Berge bedeckten. Dann zeigten die Bilder Darstellungen vom Tafelland, dessen Bewohner offenbar durch die unüberwindlichen Gletscher von der übrigen Zivilisation abgeschnitten waren. Dann begannen die Gletscher zu schmelzen, hinterließen neue Seen und Täler und an einigen Stellen sogar fjordähnliche Einschnitte, die am Ende unter Wasser standen. Ich erinnerte den König, wahrscheinlich überflüssigerweise, daß wir im Moment Zeuge wurden, wie der Wasserspiegel der Ozeane allmählich anstieg und daß wir daher noch in einer Periode lebten, in der die Gletscher weiterhin abtauten.
Er nickte. „Missionierende Hüterinnen besuchen schon seit einigen Generationen die Gebirgsgemeinschaften“, berichtete er, „aber es ist erst einige Jahre her, daß man wieder anfing, richtige Reisen zu unternehmen. Und die tiefliegenden Ebenen sind immer noch vom Meer überflutet. Der Ort, wo ich geboren wurde, liegt jetzt unter Wasser.“
Die Besichtigungsrunde war beendet, und wir stiegen wieder nach oben. „Wen oder was macht Akadem denn für das Kommen und Gehen der Vergletscherung verantwortlich?“ wollte er wissen.
„Es hängt davon ab, ob das Feuer Flammenhüters während der Zwienacht nur Licht liefert, oder ob es auch die Welt erwärmt“, antwortete ich vorsichtig. „Wenn es allein Licht spendet, dann muß ich gestehen, daß ich dafür nicht einmal eine Vermutung auftischen kann, obwohl es eine Reihe von Akademern gibt, die auch für diesen Fall Theorien entwickelt haben. Wenn das Gottesfeuer jedoch zusätzlich Wärme liefert, dann kann angenommen werden, daß es während der Vergletscherung weniger Wärme produziert hat und so die Welt vereisen ließ. Ich glaube, daß die Himmelsbrücke die Hitze abhält.“
„Die Hüterinnen behaupten, Flammenhüter hätte sein Feuer während der kalten Zeit abgeschirmt.“
„Sie behaupten sogar, das Gottesfeuer würde jede Nacht abgeschirmt“, sagte ich unwirsch, „aber ich habe Schwierigkeiten, mir vorzustellen, daß ein Gott sich mit so etwas belasten soll. Die Voraussetzungen sind irgendwie unlogisch.“
„Das ist eine Frage des Glaubens“, sagte er mißbilligend.
„Nein, es ist eine Frage von Fakten und Beobachtungen. Zu Beginn der Zwienacht entsteht die Küste aufwärts das Ätherbrennen. Gegen Ende der Zwienacht zieht es sich die Küste abwärts zurück und verschwindet. Das Gottesfeuer wandert in jeder Zwienacht vom einen Ende der Himmelsbrücke zum anderen.“
„Und wie?“ Seine Augen
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