Im Schatten des Teebaums - Roman
mir gesagt hat, fügte er im Stillen hinzu. Er hatte also recht gehabt. Tilly war die Abkürzung für Matilda und Sheehan der Mädchenname ihrer Mutter. Deshalb hatte Ryan Corcoran mit dem Namen Matilda Dale nichts anfangen können.
»Es ist eine kleine Stadt, in der ich in Ruhe leben kann, und mehr will ich nicht«, antwortete Tilly ruhig und wandte sich wieder ihren Kürbissen zu. Marty Mitchell und Henny Baird, die Preisrichter, waren nur noch wenige Meter von ihrem Tisch entfernt. Tilly trat einen Schritt zurück, als die beiden vor ihr stehen blieben und die Kürbisse begutachteten, ihre Größe, Farbe, Form, Gewicht, Beschaffenheit und Frische prüften. Mit angehaltenem Atem wartete Tilly auf das Urteil der Preisrichter. Auch George schaute gespannt zu.
»Ich glaube, wir haben einen Sieger«, verkündete Henny schließlich und heftete ein blaues Band an einen von Tillys Kürbissen. »Der erste Preis geht an Tilly Sheehan!«
Alle spendeten Beifall. Nachdem die Preisrichter Tilly gratuliert hatten, gingen sie weiter, um den zweiten und dritten Platz bekannt zu geben.
Tilly klatschte vor Freude in die Hände. Für kurze Zeit vergaß sie ihre Zurückhaltung.
George freute sich mit ihr. »Meinen Glückwunsch!«
»Danke.« Tilly strahlte. »Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass meine Kürbisse dieses Jahr in die engere Wahl kommen. Umso mehr freut es mich!«
»Das sind die schönsten Kürbisse, die ich je gesehen habe. Hätte mich gewundert, wenn du nicht den ersten Preis dafür bekommen hättest! Was wirst du jetzt mit so vielen Kürbissen machen?«
»Oh, zu Hause habe ich noch viel mehr! Ich werde Pasteten daraus machen und Kürbissuppe – eimerweise«, fügte Tilly lachend hinzu.
George erkannte erfreut, dass sie sich ihren Humor und ihr Temperament bewahrt hatte.
»Sag mal, was machst du eigentlich hier?«, fragte Tilly unvermittelt. »Bist du wegen Eliza gekommen? Sie hat mir erzählt, dass du ihr Chef bist.«
George nickte. »Das stimmt. Das ist Elizas erster großer Auftrag; deshalb dachte ich mir, ich sehe mal nach, wie sie zurechtkommt. Ehrlich gesagt, habe ich mir ein bisschen Sorgen gemacht.«
»Das brauchst du nicht. Eliza ist ein sehr kluges Mädchen, sie schafft das schon. Falls du sie suchst, sie ist draußen mit ihrer Schwester.«
»Ich habe schon mit ihr gesprochen. Und dann habe ich zufällig dich hier drinnen gesehen. Es ist lange her, Matilda, nicht wahr?«
Sie nickte. »Ja, sehr lange.« Abermals senkte sie den Kopf. Es tat ihr nach wie vor weh, an die Vergangenheit erinnert zu werden.
»Gut siehst du aus. Und du bist glücklich, wie mir scheint. Du kannst dir nicht vorstellen, wie mich das freut«, sagte er.
Tilly blickte gerührt auf. »Danke, George. Du siehst auch gut aus. Du hast sicher Familie, oder?«
»Drei erwachsene Kinder – zwei Töchter und einen Sohn. Sie leben in Adelaide.«
»Und deine Frau? Ist sie nicht mitgekommen?«
»Gwendolyn ist vor fünf Jahren gestorben«, erwiderte er leise.
»Gwendolyn? Du hast Gwendolyn Sweeney geheiratet?« Tilly erinnerte sich gut an sie.
»Ja. Wir kamen uns näher, als ich noch ein junger Reporter war.«
»Sie war ein reizendes Mädchen.«
»O ja. Und jetzt bin ich ein einsamer alter Witwer.« George schaute verlegen auf seine Schuhe. Das Geständnis war ihm nicht leicht gefallen, doch er fühlte, dass er Matilda gegenüber offen sein konnte.
»Ach, George, du hast noch viele schöne Jahre vor dir! Du findest bestimmt noch einmal eine Frau, mit der du dein Leben teilen kannst … wenn du es wirklich möchtest, heißt das.«
Nach kurzem Schweigen fragte George zögernd: »Und was ist mir dir? Hast du jemanden gefunden?« Als er ihren betroffenen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er rasch hinzu: »Ich meine, weil die Preisrichter dich Tilly Sheehan genannt haben.« Das war nur eine Ausflucht, um seine Direktheit zu rechtfertigen; er wusste, dass Sheehan der Mädchenname ihrer Mutter gewesen war.
Tilly schüttelte traurig den Kopf. »Nein, ich war nie verheiratet. Meine Mutter war eine geborene Sheehan.« George konnte sich bestimmt denken, warum sie einen anderen Namen angenommen hatte; deshalb hielt Tilly weitere Erklärungen für überflüssig.
George merkte, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte, und bedauerte es zutiefst. Nach allem, was Tilly hatte durchmachen müssen, war es nur verständlich, dass sie ihren Namen geändert hatte. Jeder Reporter zwischen Mount Gambier und Adelaide hatte sie nach ihrem Unfall
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