Im Schatten des Teebaums - Roman
regelrecht gejagt, um ein Foto von ihr zu schießen. Er nicht. Es war ihm zuwider gewesen, ihr Unglück auszuschlachten und Kapital daraus zu schlagen, um die Auflage seiner Zeitung in die Höhe zu treiben. Georges damaliger Chef hatte ihm das sehr übel genommen, und es war seiner Karriere nicht gerade förderlich gewesen.
»W eißt du, Matilda«, sagte er, »ich glaube nicht, dass ich noch einmal eine Frau finden werde, die meine Marotten in Kauf nimmt. Gwendolyn war sehr geduldig mit mir. Eine Frau wie sie gibt es kein zweites Mal.«
Seine Offenheit ging Tilly zu Herzen. »Sei nicht so streng mit dir, George. Niemand ist vollkommen. So schlimm ist es bestimmt nicht mit dir.«
»Meinst du? Dann frag mal Eliza. Im Büro wagt sich morgens keiner in meine Nähe, bis ich nicht wenigstens zwei Tassen Kaffee getrunken habe.«
Tilly musste lächeln. »Ich bin auch ein Morgenmuffel«, gestand sie. »V or meiner ersten Tasse Tee ist nichts mit mir anzufangen.«
»Aber ich wette, du sabberst nicht auf dein Kopfkissen«, sagte George in komischer Verzweiflung.
»So tief bin ich noch nicht gesunken«, sagte Tilly kichernd.
»Ich lese sogar Liebesromane, kannst du dir das vorstellen?«
Tilly musste lächeln. »Das ist doch nichts Schlimmes.«
»W enn man ein Mann ist und am Schluss weinen muss, dann schon«, sagte er.
Tilly lachte auf.
George betrachtete sie schmunzelnd. Es war schön, sie so unbekümmert lachen zu hören.
Die Preisrichter schickten sich an, das nächste Erzeugnis zu bewerten, den Rhabarber. Tilly sah aus dem Augenwinkel, wie sie sich dem Tisch mit der ausgestellten Ware näherten. »Ich muss los, George. Mal sehen, was die Preisrichter zu meinem Rhabarber sagen.«
»Aber ja, natürlich.« Er war ein wenig verlegen, weil er sie aufhielt. »Es war schön, dich wiederzusehen, Matilda.« Er hätte sie gern noch ein wenig begleitet, wagte aber nicht, sie zu fragen.
»Ich habe mich auch gefreut, dich wiederzusehen, George. Sag mal, könntest du mir einen Gefallen tun?«, fügte sie unvermittelt hinzu.
»Sicher, alles was du willst.« Er hielt unwillkürlich den Atem an, weil er hoffte, sie würde ihn bitten zu bleiben.
»Du hast doch Eliza draußen gesehen?«
»Ja. Sie lud gerade eine Tasche auf einen Wagen.«
»Die Tasche gehört ihrer Schwester. Katie wird ein paar Tage bei uns bleiben. Wärst du so nett, mir meine Kürbisse zum Wagen zu bringen?«
»Klar, das mach ich gern.«
»Danke, George. Es war wirklich schön, dich wiederzusehen.« Sie berührte ihn am Arm und eilte davon.
George schaute ihr ernüchtert nach. In seiner Fantasie hatte er sich ihr Wiedersehen als romantische Begegnung ausgemalt. Stattdessen war eine kurze Unterhaltung daraus geworden. Er war enttäuscht, fühlte sich auf seltsame Weise betrogen. Er wusste selbst, dass er sich lächerlich benahm. Er und Matilda waren nie mehr als Freunde gewesen; sie hatte nicht einmal geahnt, wie glühend er in sie verliebt gewesen war. Doch bei aller Enttäuschung empfand er auch Freude, dass er unter den körperlichen und seelischen Narben die alte Matilda wiedererkannt hatte – die kämpferische, vor Temperament sprühende Frau. Mochte ihre unbändige Lebenslust auch gedämpft worden sein, so hatte sie sich keineswegs aufgegeben, und das stimmte ihn froh.
George wandte sich ab und kehrte langsam zu dem Tisch mit den Kürbissen zurück. Er musste zweimal gehen, um Tillys riesige, preisgekrönte Kürbisse auf den Wagen zu laden. Dann hielt er nach Eliza Ausschau, konnte sie jedoch nirgends sehen. Zu guter Letzt beschloss er, ins Hotel zurückzukehren, wo er sich eine Tasse Kaffee mit einem Schuss Brandy bestellte. Er setzte sich in eine ruhige Ecke, damit er ungestört an Matilda denken konnte.
»Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen, Katie?«, fragte Eliza. Eigentlich hatte sie mit ihrer Schwester auf Tilly warten wollen, doch da diese in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Komitees für die Landwirtschaftsausstellung den ganzen Tag auf Milligans Farm würde bleiben müssen, hatte sie sich schließlich mit Katie zu Fuß auf den Heimweg zum Hanging Rocks Inn gemacht. Brodie würde Tilly später nach Hause fahren.
Eliza überlegte hin und her, dann beschloss sie, Katie die Wahrheit über Tilly zu sagen. Sie hoffte nur, ihre Schwester würde das Geheimnis für sich behalten.
» Du hast ein Geheimnis?«, rief Katie aufgeregt. »W as ist es denn? Hast du einen netten jungen Mann kennen gelernt?«
»Nein, nein, nichts dergleichen«,
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