Im Schatten meiner Schwester. Roman
ihn akzeptierte –, hatte Molly ihre Mutter noch nie so geliebt wie in diesem Augenblick. Mit neuem Selbstvertrauen streckte sie ihr die Papiere hin. »Du musst das hier lesen, Mom.«
Als Kathryn Nicks Namen erblickte, runzelte sie die Stirn. »Ist das für die Zeitung?«
»Nein. Er hat sie David zum Lesen gegeben. Eine lange Geschichte«, antwortete sie, als sie Kathryns Verwirrung erkannte. »Aber es steht etwas Wichtiges darin.«
Kathryn nahm die Seiten und las zuerst schweigend und dann leise. »Robin Snow war eine Inspiration für Sportler überall auf der Welt. Sie war nicht als Champion geboren und kämpfte darum, den Schrecken vor immer härterer Konkurrenz und dem steigenden Druck zu überwinden, zu Amerikas Läuferelite zu gehören. Als sie sich den Olympischen Spielen und dem, was ein triumphaler Höhepunkt ihrer Karriere geworden wäre, näherte, nannte sie als Erstes die vielen Vorteile, die sie hatte. Ihre Familie stand dabei ganz oben auf der Liste.« Kathryns Stimme brach. Sie holte Luft und las weiter. »Sie sah die Unterstützung durch ihre Familie als so entscheidend für ihren Erfolg an, dass sie, wenn sie einer begabten Läuferin begegnete, die keine Unterstützung durch ihre Familie erfuhr, entweder Ersatz unter der Läufergemeinde suchte oder sich selbst anbot. Sie stand in engem Kontakt mit mehr als einem Dutzend junger Frauen, deren Mentorin sie auf diese Weise gewesen war.«
Kathryn sah Molly an. »Ist das wahr?«
Molly war ebenso überrascht wie ihre Mutter. »Das muss es wohl«, erkannte sie. »Manche ihrer E-Mails sind unglaublich. Robin wurde von diesen Mädchen vergöttert.«
»Ich will sie zur Beerdigung einladen«, sagte Kathryn und schluckte bei der letzten Silbe.
Molly hätte wohl wieder angefangen zu weinen, wenn sie sich nicht auf Nick konzentriert hätte. »Konntest du erkennen, wie sehr er sie geliebt hat? Ist das tragisch oder was?«
»Und das sind erst die ersten Seiten«, meinte David. »Er beschreibt Rennen und Events, und die Details stimmen genau. Ich habe sie nachgeprüft. Aber wenn er über Robins Charakter schreibt, dann glühen seine Worte.«
Kathryn blätterte eine Seite um, als sie innehielt. »Warum hat Nick sie Ihnen gegeben?«
»Weil meine Familie im Verlagsgeschäft ist. Er hofft, ich könnte ein Bindeglied sein.«
»Ich dachte, Sie seien Lehrer.«
»Das bin ich auch. Aber meine Familie ist in der Verlagswelt sehr bekannt. Nick hat die Verbindung hergestellt.«
»Auf seine Weise leidet er genauso wie wir«, erklärte Molly. Sie war fasziniert von der Fülle an Gefühl, das sie in seinen Worten gefunden hatte. »Vielleicht ist es für ihn sogar schlimmer. Seine Gefühle blieben unerwidert. Aber sie waren echt. All diese Hoffnungen und Träume – einfach weg. Er musste über Robin reden, und wir wollten nicht zuhören.«
»Wird es der Rest der Welt tun?«, fragte Kathryn. Als sie David ansah, hob er eine Augenbraue.
»Er weiß, wie man eine packende Geschichte schreibt.«
»Was würde Ihre Familie mit dem hier anfangen?«
»Gar nichts, bis die ganze Biografie fertig ist. Wenn sie gefällt, würde sie Auszüge kaufen – aber nur, wenn Sie damit einverstanden sind.«
»Was für einen Einfluss haben wir?«, fragte Kathryn mit einem Hauch von Niedergeschlagenheit.
»Totalen Einfluss.«
»Ich habe keine Macht über Ihre Familie.«
David lächelte beruhigend. »Aber ich. Meine Mutter mag zwar nicht auf der Gehaltsliste des Unternehmens stehen, aber sie ist eine Macht, mit der man rechnen muss. Alles, wogegen sie ist, steht nicht zur Debatte, und sie wird gegen alles sein, gegen das ich Einspruch erhebe. Ich bin immer noch ihr Baby.«
Molly wusste, dass es viel zu früh war, David zu lieben. Nachdem sie Robin und das Haus und sogar ihre Freundschaft zu Nick verloren hatte, war sie wahrscheinlich nur ein jämmerlich bedürftiger Mensch, der sich in
jeden
verlieben würde.
Doch ähnelte David niemandem, den sie jemals gekannt hatte. Er war ein besonderer Mensch, der sich bereits auf ihre Familie eingelassen hatte, und das bedeutete ihr viel. Familie war wichtig. Selbst Robin hatte das gesehen.
Kurz darauf gingen Molly und Kathryn wieder hinein. Ihre Arme waren miteinander verschränkt. In dieser dunkelsten Stunde fühlte Molly sich tatsächlich gestärkt. »Danke«, sagte sie zu ihrer Mutter. »Du warst gut zu ihm.«
»Ich habe gemeint, was ich gesagt habe. Er hat uns ein Geschenk gemacht. Es war eine Woche voller Geschenke.«
»Ich bin
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