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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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hören zu können.
    Ist ein lustig Regnen
wenn Wolken sich begegnen
zum grauen Stelldichein

    Mäuse und Hasen
kriegen feuchte Nasen
und auch beim Fuchs regnet’s rein

    Trolle und Tröpfe
haben nasse Köpfe
es schüttelt sich triefend das Schwein

    Doch will ich nicht klagen
und nicht verzagen

    denn alle sind tropfend vereint
wenn der Himmel jammert und weint
    Samuel stand am Fenster, lauschte dem lustigen Lied der Kreatur und sah, wie die rundliche Silhouette nun den Hügel in Richtung Fjord hinuntereilte.

    Schnell ist’s vollbracht
im Schutze der Nacht
verlasse ich heimlich den Wald

    doch geb ich nicht Acht
hat ein Ende die Nacht
und die Huldren machen mich kalt
    Als der Regen aufhörte, erstarb auch der Gesang und ließ nichts zurück als die unheimliche Stille des Mondes.
    Samuel verlor die Kreatur aus den Augen, worauf es wieder zu tröpfeln begann. Jedenfalls hörte es sich so an. Doch als Samuel seine Hand aus dem Fenster streckte, fielen keine Tropfen darauf.
    Das ist kein Regen .
    Er hatte Recht. Denn im nächsten Moment sah er einen matten Lichtschein innerhalb des Waldes, wie die letzte Glut der untergehenden Sonne. Als der goldene Schimmer sich verstärkte, begann Samuels Herz, im Takt mit dem lauter werdenden Getrappel zu rasen.
    Dann wusste er, woher das Geräusch kam. Es waren Pferde, drei weiße Hengste, und die Gestalten, die auf ihnen saßen, hielten brennende Fackeln in der Hand. Sie waren nun aus dem Wald hinausgeritten, obwohl die Gesichter der Reiter immer noch zu dunkel und zu weit entfernt waren, als dass Samuel sie hätte erkennen können.
    Er verließ das Schlafzimmer, weil er glaubte, vom Erdgeschoss aus eine bessere Sicht zu haben. Auf Zehenspitzen ging er an Tante Edas Schlafzimmer vorbei, schlich sich ins Wohnzimmer hinunter und spähte durch den Spalt zwischen den Vorhängen. Samuel erkannte drei Reiter, die von ihren brennenden Fackeln erhellt wurden. Anfangs hielt er sie für Menschen, doch nun, im flackernden Licht der Fackeln, sah er,
dass es sich um eigentümliche, knöcherne Wesen mit grauer Haut, weit auseinanderstehenden Augen und platten, wulstigen Nasen handelte. Sie waren es - die Monster aus seinen Albträumen. Ich träume, dachte er. Es muss sich um einen Traum handeln.
    Sie riefen sich Befehle zu und peitschten ihre Pferde, während sie im Galopp hinter der tonnenförmigen, singenden Gestalt herjagten.
    »Samuel? Samuel? Was ist los?«
    Tante Eda stand im Nachthemd hinter ihm und sah sehr besorgt aus.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete er, wusste jedoch in diesem Moment, dass er nicht träumte.
    »Huldren!«, raunte seine Tante eindringlich.
    Die Huldren, die nicht mehr in seinem Blickfeld waren, hatten sich dem Fjord zugewandt. Für eine Weile blieb es ruhig. Samuel und Tante Eda standen genauso unbeweglich da wie die Glasvasen auf den Regalen. Als die galoppierenden Huldren zurückkehrten, zogen sie die singende Kreatur in einem Netz hinter sich her.
    »Schnell weg!«, sagte Tante Eda. »Weg vom Fenster!«
    »Lass mich!«, entgegnete Samuel, als sie ihn am Arm zog.
    »Nicht, Samuel, sie werden dich sehen. Und wenn sie dich sehen, werden sie dich holen. Und mich. Und deine Schwester.«
    »Sei doch nicht so langweilig«, sagte er zu seiner Tante, konnte aber die Angst in seiner Stimme nicht verbergen.
    »Langweilige Leute bleiben am Leben«, entgegnete sie.
    Als Samuel die blanke Angst in ihrer Stimme hörte, trat er einen Schritt zurück und lauschte darauf, wie die Huldren mit ihren drei Pferden die arme singende Kreatur in das undurchdringliche Dunkel des Waldes zurückzerrten.

    Erneut packte sie ihn am Arm und diesmal wehrte er sich nicht. Sein Herzschlag beruhigte sich langsam.
    »Wer war diese singende Kreatur?«, fragte er.
    »Ein Tomtegubb«, antwortete Tante Eda. »Der Professor beschreibt diese Wesen in seinem Buch.«
    »Sind sie gefährlich?«
    »Alle Geschöpfe des Waldes sind gefährlich. Der Professor sagt, sie könnten Menschen mit ihrem Gesang in Trance versetzen, wenn sie nah genug herankommen. Und dann töten sie dich.«
    »Hast du früher schon mal einen gesehen?«
    »Ja«, sagte sie mit einer Stimme, so zittrig wie ein loser Baumstamm. »Ja, das habe ich … und du ebenfalls.«
    »Was meinst du damit?«
    »Kam dir der Gesang nicht irgendwie bekannt vor? So wie der Kleiderschrank und die Tapete, an die du dich erinnert hast?«
    »Ich … ich weiß nicht«, sagte er zögerlich.
    Da erzählte ihm Tante Eda etwas, das sie ihm nie zuvor

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