Im Schattenwald
erzählt hatte. Von einem Besuch ihrer Schwester - Samuels Mutter -, die auch ihren Mann und ihre Kinder mitgebracht hatte.
»Du hörst richtig, Samuel. Im Alter von zwei Jahren warst du schon einmal hier. Martha war damals noch ein Baby. Deine Mutter kam hierher, um mich zu trösten, nachdem sie erfahren hatte, dass Onkel Henrik vermisst wurde. Natürlich glaubte sie mir nicht, als ich ihr von den Kreaturen im Wald erzählte. Bis sie dich eines Nachts schreien hörte.«
Samuel war mehr als verwirrt, während er sich bemühte, das Gesicht seiner Tante im Dunkeln zu erkennen.
»Das kann nicht sein. Mum sagte, dass sie nie wieder in Norwegen gewesen ist. Du lügst!«
»Das hat sie gesagt, um dich zu schützen«, unterbrach ihn
Tante Eda. »Sie wollte, dass du dich nicht erinnerst, schon einmal hier gewesen zu sein und etwas Ähnliches gesehen zu haben, was du jetzt gesehen hast. Deine Eltern sind nie hierher zurückgekommen, weil sie dich und Martha nicht in Gefahr bringen wollten. Und ich konnte euch nicht in England besuchen, weil ich stets auf Henriks Rückkehr gewartet habe.«
Samuel hielt das für eine Lüge, doch dann dachte er an seine Albträume mit den seltsamen Wesen, von denen er jetzt wusste, dass es sich um Huldren handelte.
»Ja, ich bin schon mal hier gewesen«, flüsterte er, nachdem er sich an diesen Gedanken gewöhnt hatte. »Ich wusste es. Die Monster gibt es in Wirklichkeit.«
»Und jetzt«, sagte Tante Eda, »weißt du auch, warum meine Regeln so wichtig sind. Warum ihr im Dunkeln nicht rausgehen dürft und euch vom Wald fernhalten müsst.«
»Aber warum ziehst du nicht einfach um?«, fragte Samuel.
Er spürte, wie Tante Eda gegen ihre Trauer ankämpfte. »Weil ich Henrik versprochen habe zu bleiben«, antwortete sie. »Wenn ich jetzt fortzöge, dann hätte ich das Gefühl, ihn aufzugeben. Verstehst du das?«
»Du meinst, dass Henrik eines Tages vielleicht zurückkommt?«
»Ich weiß, dass er zurückkommt«, entgegnete sie. »Er hat es mir versprochen und Henrik hat in seinem Leben noch nie ein Versprechen gebrochen.«
Fünf Scheiben brauner Käse
A m nächsten Morgen war Samuel erstaunt darüber, dass Tante Eda sich benahm, als wäre nichts geschehen. Er hätte am liebsten über Huldren geredet, wusste jedoch, dass das in Marthas Gegenwart nicht möglich war.
Samuel wusste nicht, dass Tante Eda eine Entscheidung getroffen hatte. Sie würden umziehen. Nicht eine einzige Nacht konnte sie noch länger in ihrem Haus bleiben. Oskar hatte Recht. Es war das eine, sie vom Wald fernzuhalten - das andere, den Wald daran zu hindern, sich ihnen zu nähern. Henrik hätte dasselbe gewollt, sagte sie sich. Doch sie wollte es den Kindern zunächst noch nicht sagen, bis sie die Wäsche und das Packen erledigt hatte, weil dies Martha nur beunruhigen und sie vom Frühstücken abhalten würde.
»Würdest du das auf den Tisch stellen?«, fragte Tante Eda, indem sie Samuel ein mit Flachbrot und Käse beladenes Frühstückstablett reichte.
Samuel machte sich sowieso nichts aus Käse, doch so einen wie auf dem Tablett hatte er noch nie gesehen. Die Käsesorten, die er zu Hause einmal probiert hatte, waren gelb oder weiß gewesen; dieser jedoch hatte eine merkwürdige braune Farbe.
»Was machst du für ein Gesicht, junger Mann?«, fragte Tante Eda, als sie beiden Kindern ein Glas mit Moltebeersaft gab. »Hast du etwa noch nie Käse gesehen?«
»Doch, aber keinen braunen Käse«, antwortete Samuel.
»Das ist Ziegenkäse«, sagte Tante Eda, »wie der von Onkel Henrik. Bei Skiläufern ist er sehr beliebt. Sie nehmen ihn sogar mit auf die Piste, damit sie genug Energie haben. Dieser schmeckt zwar nicht so exzellent wie Henriks Goldmedaillenkäse, aber Ziegenkäse ist einfach eine norwegische Spezialität. Er hat einen süßlichen Geschmack, der an Karamell oder sogar an Schokolade erinnert. Kinder essen ihn zum Frühstück, und Erwachsene ebenso.« Sie sprach schneller als gewöhnlich, als habe sie Angst vor den Pausen zwischen den Wörtern.
Und während sie redete, schnitt sie mit einem lustig aussehenden Hobel papierdünne Scheiben vom Käse herunter. Samuel bemerkte, dass ihre Hand zitterte. Auch Ibsen schaute ihr aufmerksam zu, da er Käse über alles liebte. Sogar mehr als ein Steak. Nicht dass er je Käse bekommen hätte. Er musste sich mit dem Geruch begnügen, der seine Nasenlöcher reizte und dafür sorgte, dass ihm der Speichel aus dem Maul lief, während er in seinem Korb lag.
»Siehst du
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