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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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ihrer Köpfe war dunkler als der Rest. Über ihre Stirn verlief ein weißer Streifen, während aus ihren Schnäbeln unentwegt lange und laute Schreie kamen.
    Als die Vögel auf sie zuliefen, betrachtete sie den gedrungenen Körper und die kleinen, unbrauchbaren Flügel des ersten Vogels. Sie hielt nach den anderen Vögel Ausschau, konnte jedoch nichts erkennen.
    Dann ging ihr ein Licht auf.

    Es handelte sich nicht um drei Vögel.
    Es war nur ein einziger Vogel, der drei Köpfe und drei Hälse hatte. Der Caloosh ist eine von vielen Kreaturen, die in Professor Horatio Tanglewoods Buch Die Geschöpfe des Schattenwalds beschrieben werden, doch Martha wusste nicht einmal von der Existenz dieses Buches, da weder Samuel noch Tante Eda ihr davon erzählt hatten. (Übrigens haben Calooshes ebensolche Angst, den Schattenwald zu verlassen, wie Menschen, ihn zu betreten. Deshalb ist es nahezu unmöglich, ihnen zu begegnen.)
    Sie beobachtete, wie der Caloosh weiter ins Dickicht hineinlief. Dann blieb der Vogel plötzlich stehen. Alle drei Schnäbel stießen gleichzeitig einen heiseren Schrei aus, während sich im selben Moment der Boden auftat und der Vogel in ein Loch fiel. Dann schloss sich der Boden wieder. Martha schaute sich um und fragte sich, ob hier womöglich noch andere Löcher verborgen waren.
    »Martha! Martha!« Es war das ferne Rufen ihres Bruders.
    Im Grunde war es ihr recht, wenn er sie finden würde. Vielleicht war sie doch ein wenig überhastet in den Wald gelaufen, dachte sie. Vielleicht hätte sie auf Tante Eda hören sollen.
    Sie beschloss, zu ihrem Bruder zu gehen, doch konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen, woher seine Stimme kam. Ihr Echo wurde von den Bäumen zurückgeworfen, sodass sie von überallher hätte kommen können. Sie ging ein Stück in die eine, dann in die andere Richtung, während ihre Augen den Waldboden nach Löchern absuchten, doch Samuels Stimme schien immer noch gleich weit entfernt zu sein.
    Sie ging weiter, fing an zu laufen und hatte plötzlich das Gefühl, Samuel näher gekommen zu sein.
    »Martha! Martha!«

    Ja, jetzt musste sie ihn fast gefunden haben.
    Sie lief schneller, setzte einen Fuß vor den anderen - bis sie den Boden unter den Füßen verlor. Der Untergrund hatte sich geöffnet und sie in die dunkle Tiefe stürzen lassen. Über dem Loch hing der niedrige Zweig eines Baumes, doch sie konnte ihn nicht erreichen.
    Martha schrie.
    Es war das erste Geräusch, das sie seit über einer Woche von sich gab, und sie tat es nur, weil ihr keine andere Wahl blieb. Das tut man eben, wenn man plötzlich ins Nichts fällt. Man schreit.
    »Aaaaaaaaah!«
    Doch Martha landete weich, so weich, dass sie sofort dachte, es müsse sich um Federn handeln. Sie schaute zum Licht empor, das über ihrem Kopf einen Kreis bildete. Dort war eine verborgene Falltür, die sich jetzt ebenso rasch schloss, wie sie sich geöffnet hatte.
    Sie rollte sich auf die Seite und wollte aufstehen, schaffte es aber nur auf alle viere. Sie kämpfte sich mühsam vorwärts, während ihre Augen versuchten, sich auf die Dunkelheit einzustellen. Sie streckte die Hand aus und berührte die aufgeworfene Erde am Rande des riesigen Lochs.
    Dann bemerkte sie einen gelblichen Schimmer, der allmählich heller wurde. Nach einiger Zeit konnte sie die Federn erkennen - sie waren grau wie diejenigen des dreiköpfigen Vogels, der in ein anderes Loch gefallen war.
    Sie blickte sich um und entdeckte die Quelle des Lichts - ein unterirdisches Fenster mit metallenen Gitterstäben. Als sie näher ans Fenster herankroch, hörte sie Stimmen und erspähte eine brennende Fackel. Die Fackel und die Stimmen schienen durch eine Art Korridor auf sie zuzukommen.
    Vielleicht wollen sie mich retten , dachte sie.
    Doch schon im nächsten Moment wurde ihr die Unsinnigkeit
dieser Annahme bewusst. Leute stellen keine Fallen auf, um ihre Opfer hinterher laufen zu lassen.
    Was oder wer auch immer auf sie zukam, näherte sich bestimmt nicht mit freundlichen Absichten. Also legte sich Martha hin und bedeckte sich mit Federn, in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden.

Der Schrei
    M ARTHA! MARTHA! MAAARTHAAAAAA!«
    Samuel rief weiter den Namen seiner Schwester, hörte jedoch nur sein eigenes Echo. Er ließ seinen Blick schweifen, versuchte, Martha irgendwo zwischen den Bäumen zu erkennen, aber vergeblich.
    Dabei konnte sie nicht weit sein. Sie war doch erst vor zwei Minuten in den Wald gegangen.
    Er bahnte sich seinen Weg durchs Gestrüpp, hielt das Buch

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