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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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Gesicht.
    Ihre schwarzen Haare waren schmuddelig und verfilzt und sahen aus wie merkwürdige Pflanzen. Auch aus ihrer knubbeligen Nase wuchsen die Haare, und ihr Mund schien nur fünf wacklige Zähne zu enthalten, die so grau und heruntergekommen wirkten wie Grabsteine auf einem Friedhof.
    »Er ist wach, Trollvater!«

    Die Worte dröhnten in Samuels Kopf - jedes einzelne ein Ziegelstein, den jemand gegen die Innenseite seines Schädels schlug.
    Trolle.
    »Ich komme schon, Trollmutter.«
    Ein männlicher und nur geringfügig weniger hässlicher Troll - vermutlich weil ein Großteil seines Gesichts von einem Bart bedeckt war - erschien in Samuels Blickfeld. Auch er besaß eine Augenhöhle mitten auf der Stirn, in der jedoch kein Auge war.
    Er tastete mit einer Hand über dem Bett in Richtung der Trollmutter.
    »Warte, nicht so ungeduldig«, sagte sie.
    Dann geschah etwas Ekelhaftes.
    Die Trollmutter steckte ihre Finger in die Augenhöhle, zerrte ein wenig daran herum und hielt im nächsten Moment ihr Auge in der Hand. Danach gab sie es an ihren Mann weiter, der es unverzüglich in seine eigene Augenhöhle drückte.
    »Was ist das?«, fragte die Trollmutter, die wissen wollte, was für ein Wesen da in ihrem Bett lag.
    Als der Trollvater Samuel ungläubig anstarrte, fiel ihm fast die Kinnlade herunter. »Ein Mensch«, sagte er. »Ein Junge.«
    »Oh!«, sagte sie. »Ein Mensch. Ein Junge.« Plötzlich veränderte sich ihre Stimme und schien voller Bedauern zu sein. »Es tut mir schrecklich leid, mein Herr. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie es sind, dann hätte ich Sie natürlich nie mit meinem Hasenkochtopf niedergeschlagen. Was müssen Sie jetzt von mir denken? Entschuldigen Sie bitte vielmals. Und entschuldigen Sie auch die fürchterliche Unordnung hier. Hätten wir gewusst, dass Sie uns mit Ihrem Besuch beehren, hätten wir natürlich richtig aufgeräumt und sauber gemacht.
Aber es ist nicht einfach, alles in Ordnung zu halten, wenn man gemeinsam nur ein Auge besitzt.«
    Samuel setzte sich auf und schaute sich um. Das ganze Haus bestand aus einem einzigen Raum, der von Kerzen erleuchtet wurde. Vom Bett aus konnte er einen Herd, einen Esstisch und ein weiteres Bett erkennen. Zwei Trollkinder mit leeren Augenhöhlen saßen auf dem Boden und streichelten Ibsen, der Samuel anschaute.
    »Ihr seid … Trolle!«, sagte Samuel mit entsetzter Stimme.
    »Ganz richtig, mein Herr«, entgegnete der Trollvater mit einer Stimme, die ungleich sanfter war als die seiner Frau.
    »Wollt ihr mich denn … nicht fressen?«, fragte Samuel, während die Angst seine Kopfschmerzen wieder verstärkte.
    Der Trollvater schien verwirrt. »Sie fressen, mein Herr?«
    »Ich dachte, dass Trolle Menschen fressen. Ich dachte, sie kochen sie in großen Töpfen. So steht es jedenfalls in …« Samuel blickte sich um und sah sein Buch neben der Tür liegen. Vermutlich hatte er es fallen gelassen, als er mit dem Kochtopf niedergeschlagen worden war. »… in dem Buch.«
    »Nun, ich kann Ihnen versichern, mein Herr, dass wir keine Menschen fressen«, sagte der Trollvater. »Man sollte nicht alles glauben, was in Büchern steht. Die stecken meist voller Lügen.«
    Samuel sah die Schatten der Trolle im Kerzenlicht flackern und erinnerte sich daran, was der Wahrheits-Pixie gesagt hatte: »Denk dran, dass die Geschöpfe ohne Schatten die gefährlichen sind. Die anderen werden dir nichts anhaben.«
    »Das Einzige, was wir in unseren Töpfen kochen, sind Hasen«, fuhr die Trollmutter fort. »Solange Sie also keine langen, weichen Ohren haben, kann Ihnen bei uns nichts passieren, mein Herr. Es tut mir so schrecklich leid, dass ich Ihnen den Kochtopf auf den Kopf geschlagen habe, doch heutzutage muss man sich einfach vorsehen - bei all den Bedrohungen,
die uns umgeben. Jedenfalls haben wir Sie vor diesen grässlichen Kreaturen bewahrt. Sie kamen auch zu uns und klopften an unsere Tür, aber wir haben ihnen gesagt, dass wir Sie nicht gesehen hätten. Zuerst dachte ich, sie würden unser ganzes Haus auf den Kopf stellen, aber ich glaube, dazu hatten sie es zu eilig. Wahrscheinlich haben sie Gefangene gemacht.«
    Gefangene.
    Schlagartig hatte Samuel wieder das Bild der gefangenen Martha in ihrem Käfig vor Augen.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte Samuel. Er versuchte aufzustehen, doch sein Kopfschmerz ließ ihn sofort zurück in die Kissen sinken. »Ich muss meine Schwester finden.«
    »Ihre Schwester?«, wiederholte die Trollmutter.
    »Sie hatten sie in einen Käfig

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