Im Schattenwald
gesperrt. Auf einem Wagen. Es waren Huldren.«
»Huldren?« Der Trollvater flüsterte das Wort, als bringe es Unglück, es laut auszusprechen.
»Ja, sie haben sie gefangen und bringen sie zum …«
Er versuchte vergeblich, sich an den Namen des Herrschers des Waldes zu erinnern.
Der Trollvater schien mit einem Mal zu bedauern, dass er das Auge besaß. Er wusste nicht, wohin er schauen sollte. In diesem Moment war Samuel sicherer denn je, dass die Beschreibung der Trolle im Buch nicht zutraf.
»Sie bringen sie zum Veränderer«, ergänzte die Trollmutter.
Sobald ihr das Wort »Veränderer« über die Lippen gekommen war, schnappten die beiden augenlosen Trollkinder hörbar nach Luft.
Das kleine Trollmädchen fing an zu weinen, doch aus ihrer leeren Augenhöhle kamen keine Tränen.
»Habt keine Angst«, sagte der Trollvater.
»Wird der Veränderer auch uns eines Tages holen?«, fragte der Trolljunge.
»Nein, bestimmt nicht«, antwortete sein Vater.
»Vielleicht kommt er, wenn du deinen Hasenbraten nicht aufisst«, sagte die Trollmutter.
Während der folgenden Stille versuchte Samuel, sich etwas weiter aufzusetzen.
»Darf ich den Menschen sehen?«, fragte der Trolljunge.
»Ich auch, ich auch, ich auch!«, rief seine Schwester. Sie riss einen Arm in die Höhe wie ein übereifriges Schulkind.
Die Trollmutter war peinlich berührt und bekam einen roten Kopf.
»Ich muss mich für meine Kinder entschuldigen«, sagte sie. »Sie sind leider nicht so sauber und höflich wie Sie, mein Herr. Es sind freche kleine Gören, die nicht wissen, wie man sich benimmt.«
Samuel wunderte sich, dass die Frau so verärgert über ihre Kinder war. Die beiden schienen ihm vollkommen normal zu sein.
»Nun gut«, seufzte die Trollmutter. »Die Kinder sind natürlich neugierig. Gib ihnen das Auge, Trollvater.«
Der Trollvater nahm sich das Auge heraus und klopfte seinem Sohn auf die Schulter. Der Trollsohn tastete nach dem Auge und presste es sich, nachdem er es endlich in der Handfläche seines Vaters gefunden hatte, in seine Augenhöhle.
»Hallo«, sagte Samuel.
»Hallo«, erwiderte der Junge, der jetzt, da seine Eltern ihn nicht sehen konnten, in der Nase bohrte. »Ich bin Trollsohn.«
»Und ich bin Samuel. Samuel Blink.«
»Samuel Blink«, wiederholte der Trollsohn bewundernd. Er sprach den exotischen Namen ein ums andere Mal aus. »Samuel Blink. Samuel Blink. Samuel Blink. Samuel…«
»Verzeihen Sie meinem Sohn«, bat der Trollvater, »aber
wir sind nur einfache Trolle und es nicht gewohnt, so vornehme Namen zu hören. Wir sind sie nicht wert, verstehen Sie.«
»Trollsohn, hör sofort auf, in der Nase zu bohren!«, schimpfte die Trollmutter, obwohl Samuel schleierhaft war, wie sie das herausgefunden hatte. »Jetzt gib das Auge an deine Schwester weiter, ehe du dich noch mehr blamierst.«
Der Junge wischte seine dreckigen Finger an seinem schmuddeligen Hemd ab und zog das Auge mit einem schmatzenden Geräusch aus seiner Höhle. Er versuchte, es seiner Schwester zu geben, doch das kleine Mädchen, das kaum älter als sechs Jahre alt sein mochte, fand die Hand ihres Bruders nicht.
»Wo ist es?«, fragte sie. Diese Frage wiederholte sie immer wieder, während sie fortwährend die Hand öffnete und wieder zuklappte. »Wo ist es? Wo ist es? Wo ist es?«
Samuel beobachtete, wie die Trollmutter vor Verlegenheit erneut rot anlief. »Ach, das ist mir alles so schrecklich peinlich, mein Herr!«, stieß sie aus, während sie sich langsam zu ihren Kindern vortastete. »Es sind Trollkinder ohne Manieren.«
»Das ist schon in Ordnung«, versicherte Samuel.
Als sich die Finger des Mädchens gerade um das Auge schlossen, bekamen beide Kinder einen Klaps auf den Hinterkopf. Die Trollmutter wusste offenbar sehr genau, wo sich ihre Köpfe befanden.
»Benehmt euch, ihr nutzlosen kleinen Pixies!«, rief sie. (Pixie genannt zu werden, ist die größte Beleidigung für einen Troll.)
»Deswegen brauchst du sie noch lange nicht zu schlagen«, schaltete sich der Trollvater ein, dessen Augenhöhle zuckte, als hätte er selbst einen Schlag bekommen. »Sie können doch schließlich nichts sehen.«
»Nein, aber der Mensch kann es. Was muss er nur von uns denken?« Als sie den Kindern einen weiteren Klaps gab, flog das Auge in hohem Bogen aus der Hand des Mädchens.
»Ich hab es verloren! Ich hab es verloren! Ich hab es verloren!«
Samuel beobachtete schockiert, wie das Auge durch die Luft flog und auf seinem Bett landete. Es rollte
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