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Im Schattenwald

Im Schattenwald

Titel: Im Schattenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Haig
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schleppten sich immer träger dahin.
    Auch Samuel war hundemüde.
    Wach bleiben !, forderte er sich auf.
    Doch das war leichter gesagt als getan. Seine Augenlider, an denen Gewichte zu hängen schienen, konnte er nur noch mit größter Mühe offen halten. Außerdem scheuerten seine Pixie-Sandalen inzwischen schmerzhaft an seinen Füßen.
    Ein Schläfchen wäre gar nicht so übel , dachte er.
    Außerdem war es vermutlich sicherer, an ein und demselben Ort auszuruhen, als weiter umherzugehen. Und wären sie erst einmal ausgeschlafen, würden sie sich mit neuer Frische und Wachsamkeit auf die Suche begeben und hätten somit auch eine größere Chance, Martha zu finden. Mit diesem Gedanken hielt er nach einem geeigneten Rastplatz Ausschau.
    Er führte Ibsen vom Weg ab und steuerte ein paar Kiefern
an. War eine von ihnen breit genug, konnten sie sich bequem dahinter legen und wären vom Weg aus nicht zu erkennen.
    Er suchte sich also den größten Stamm aus, legte sich hin und hielt sich das Buch wie eine Wärmflasche an die Brust. Ibsen rollte sich neben ihm zusammen und war im nächsten Moment eingeschlafen. Doch Samuel fand keine Ruhe. Zunächst versuchte er, seinen Kopf gegen den Stamm zu lehnen, was alles andere als bequem war. Während er in den Nachthimmel blickte und die funkelnden Sternbilder betrachtete, wusste er, dass er so nicht würde einschlafen können.
    Dann bettete er seinen Kopf auf die nackte Erde, doch die war entschieden zu hart und stachelig von all den Kiefernnadeln. Er schloss die Augen und versuchte zu schlafen, doch ebenso gut hätte er versuchen können, einen Regenbogen zu berühren. Jedes Mal wenn er sich fast am Ziel glaubte, geriet es in umso größere Entfernung.
    Er dachte daran, was sein Vater nach seinem ersten Tag auf dem Gymnasium gesagt hatte:
    »Das Glück kann man überall finden, mein Sohn, solange man nur beharrlich nach ihm sucht.«
    Doch sein Vater hatte sich geirrt. Denn wo sollte in diesem Wald schon das Glück zu finden sein? Hier gab es nichts als Angst, Grausamkeit und Einsamkeit. Und Kiefernnadeln.
    Ach, was soll’s. Ich werde hier doch nicht einschlafen.
    Er stand auf und wischte sich die Kiefernnadeln aus dem Gesicht. Wohin er auch blickte, dasselbe Bild: raue Baumstämme und harter Boden. Der ganze Wald schien nur dazu da zu sein, ihn am Schlafen zu hindern.
    Benommen entfernte er sich ein paar Schritte von Ibsen, ohne darüber nachzudenken, dass er sich im gefährlichsten Teil des Waldes befand. Dann, als er gerade einen erneuten Versuch unternehmen wollte, sich auf den Boden zu legen, stolperte er über etwas. Genauer gesagt, er trat auf etwas.

    Etwas Weiches. So weich wie ein großes Daunenkissen. Oder ein runder Bauch.
    »Meine Beeren!«
    Samuel schien das Wesen, das er versehentlich getreten hatte, unsanft aus seinem Beeren-Traum gerissen zu haben.
    Samuel geriet in Panik.
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung!«, sagte er, während er nach dem Buch tastete, das hinter den großen Bauch des fremden Wesens gerutscht war. »Entschuldigung, ich wollte nur … ich habe nur …«
    »Einen Platz zum Schlafen gesucht?«
    »Ja.«
    »Du kannst hier schlafen«, sagte das Wesen mit einem Gähnen. »Leg dich einfach auf meinen Bauch. Das ist sicher der bequemste Platz weit und breit.«
    Samuel konnte das Gesicht des Wesens kaum erkennen. Er sah nur sein dunkles Fell, das gegen einen noch dunkleren Stamm gedrückt wurde. Doch seine Stimme war freundlich und einladend und klang fast so wie eine Tasse heiße Schokolade (wenn eine Tasse heiße Schokolade eine Stimme gehabt hätte).
    »Äh, ich denke … ich sollte mir meinen eigenen Platz suchen.« Samuel wusste nicht, was er tun sollte. Wenn er einfach davonlief, würde das Wesen ihn vielleicht verfolgen. Doch wenn er stehen blieb …
    »Beeren«, sagte das Wesen, das seinen Traum fortzusetzen schien.
    Samuel drehte sich zur Seite, sodass sich seine rechte Wange an das weiche Fell schmiegte. Das Wesen hatte Recht. Sein Bauch war mit Sicherheit der gemütlichste Platz weit und breit.
    So warm.
    So weich.

    Die sanfte Atmung des Wesens, dessen Bauch sich gleichmäßig hob und senkte, hatte einen nahezu hypnotischen Effekt auf Samuel. Und der Geruch seines Fells schien der Geruch des Schlafes selbst zu sein, als würde es Träume ausdünsten, so wie Menschen ihr Essen ausdünsten.
    Nicht einschlafen!, ermahnte sich Samuel, wohl wissend, dass die Kreatur durchaus gefährlich sein konnte. Wissend, dass es womöglich keinen

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