Im Schloss aus Glut und Leidenschaft
erforderlich waren. Zuerst legte sie den Beutel ab, dann zog sie den Umhang aus und breitete ihn über den Boden. Anschließend löste sie behutsam mit dem Dolch das Futter, sodass die einfache Bauernkleidung darunter sichtbar wurde. Nervös sah sie sich um, während sie die königlichen Samtgewänder ablegte und jene mitgebrachten Kleider anzog, die zu einem einfachen Landmädchen passten.
Eines Tages, dachte sie, während sie den groben grauen Rock zuknöpfte, werde ich vermutlich darüber lachen.
Egal. Wenigstens war sie noch am Leben.
Als Nächstes musste sie das ablegen, was auf ihre königliche Herkunft hindeutete - nicht nur die Kleidung, auch Schmuck, den Siegelring, sogar die Haarspange aus schwerem Gold mit dem Wappen darauf. Sie zog die Spange heraus und schüttelte die langen dunklen Locken.
All diese verräterischen Dinge wickelte sie in das abgelöste Futter ihres Umhangs, sah sich nach einem Versteck um und schob das Bündel schließlich unter einen Haufen alten, muffigen Heus.
Jetzt blieben ihr noch der Dolch, der Beutel und der wollene Außenstoff ihres Umhangs. Aus den letzteren beiden Dingen schuf sie sich einen Lagerplatz.
Dann zog sie den Trinksack aus dem Beutel und nahm einen Schluck Wasser, aber nicht zu viel. Sie wollte es sich einteilen für den Fall, dass ihre Wachen länger als einen Tag brauchten, um sie zu finden.
In dem Beutel befanden sich außerdem verschiedene Nahrungsmittel und ein zusammenschiebbares Teleskop.
Sie legte den Wassersack zur Seite, nahm das Fernrohr und ging damit zu dem kleinen Fenster an der Ostwand des Heubodens.
Nachdem sie es ausgezogen hatte, hob Sophia es an ihr Auge. Mit Freude sah sie, dass sie von hier aus einen guten Blick auf die mondbeschienene Straße hatte, auf der sie gekommen war.
Abgesehen davon gab es wenig Interessantes zu entdecken. Bäume. Schafe. Keine Spur von einem Dorf. Nur dunkle, friedliche Landschaft unter einem onyxfarbenen Himmel, an dem helle Sterne funkelten.
Einen Moment später ging sie quer über den Heuboden, um aus dem gegenüberliegenden Fenster zu schauen. Ah. Wenigstens gab es da etwas zu sehen.
Sie entdeckte die einsame Ruine einer kleinen normannischen Kirche, auf der anderen Seite der Felder, nur einen Steinwurf weit entfernt. Zwar hatte sie ihren Glauben schon vor langer Zeit verloren, aber alles in allem war es ein tröstlicher Anblick.
Steinerne Engel, die im Mondlicht gespenstisch wirkten, standen Wache an dem verfallenen Eingang.
Plötzlich bemerkte Sophia das schwache Licht, das durch ein buntes Glasfenster fiel, dort, wo ein Teil der Steinmauer noch intakt war. Sie runzelte die Stirn. Da unten lief jemand herum - um diese Zeit?
Wieder hob sie das Fernrohr an die Augen und sah erneut hinüber zu dem verfallenen Gotteshaus.
Sie spähte angestrengt, bis sie plötzlich einen ganz in Schwarz gekleideten Mann bemerkte.
Er entzündete die Kerzen am Altar.
Bewegungslos beobachtete sie ihn durch ihr Fernrohr.
Mit ernster Miene, offenbar ganz in Gedanken versunken, entzündete der große Fremde jede einzelne Kerze, die auf dem eisernen Gitter standen, eine nach der anderen, bis ihr flackernder Schein sein Profil erhellte - eine markante Nase, ein nachdenklicher Mund. Ein kurzer Bart am energischen Kinn, während das nachtschwarze Haar etwas zu lang war und sich rebellisch über seinen Kragen ringelte. Ihr Herz schlug schneller. Wer oder was war das?
Stellte er eine Gefahr dar?
Das Licht war zu matt und die Entfernung zu groß, um das mit Sicherheit sagen zu können. Vielleicht war er, da er vollkommen in Schwarz gekleidet war, ein Priester? Aber nein. Auf den zweiten Blick schien er mehr ein Sünder als ein Heiliger zu sein. Oder vielmehr eine verlorene Seele.
Während sie ihn beobachtete, wusste Sophia nicht, was sie von diesem Mann halten sollte. Er sah sehr gut aus, wirkte wie ein Gentleman, und doch war etwas an seiner Haltung hart, kalt und entschlossen.
Offenbar war dieser einsame Ort nicht ganz so verlassen, wie sie gedacht hatte.
Als er fertig war, stand der Fremde einen Moment lang da, den Blick gesenkt, offenbar meilenweit entfernt. Und dann verschwand er plötzlich aus ihrem Blickfeld, als er von dem eisernen Gitter mit den Kerzen zurücktrat.
Als sie ihn durch das Fernrohr wieder sehen konnte, war er gerade im Begriff, die Kirche zu verlassen.
Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass er sich in die entgegengesetzte
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