Im Schloss unserer Liebe
verloren hat.“
„Kass? Kass ist tot?“ Sie schaute Rafael entsetzt an, dann das Kind. „Dein Papa?“
„Papa hatte einen Unfall mit dem Auto.“ Der Junge wirkte seltsam unberührt.
„Matty, das tut mir so leid für dich.“
Matty. So hatte sie ihren Sohn genannt, in den wenigen Wochen, die sie ihn bei sich haben durfte. Mathieu, der Name, den sein Vater für ihn ausgesucht hatte, schien ihr viel zu formell für das kleine Bündel, das er damals gewesen war.
„Tante Laura nennt mich auch Matty“, sagte der Junge und lächelte zum ersten Mal. „Sie weiß von den Kinderschwestern, dass meine Mama mich so genannt hat.“
„Aber …“ Bevor ihr die Beine wegknickten, setzte sie sich auf einen Stuhl. „Aber …“
„Matty, willst du uns nicht Kuchen servieren?“ Mit einem kurzen Seitenblick auf Kelly, die nicht in der Lage war zu sprechen, öffnete Rafael Schubladen und Schränke, holte drei Teller hervor und stellte sie zu dem Kuchen. Dann drückte er dem Kind ein Messer mit stumpfer Klinge in die Hand. „Wir brauchen drei gleich große Stücke“, sagte er. „Du schneidest sie ab. Nur so breit wie zwei Finger, bitte.“
Der Junge nickte eifrig, betrachtete seine Finger und machte sich an die Arbeit. Er würde eine Weile beschäftigt sein.
Rafael zog einen Stuhl hervor, setzte sich Kelly gegenüber an den Küchentisch und ergriff ihre Hände. Seine waren groß und warm, ihre eiskalt. Es tat gut, sie wärmen zu lassen.
Sie hatte eine schwere Grippe hinter sich. Vielleicht war sie noch nicht wieder ganz hergestellt. Vielleicht fror sie deshalb so sehr.
„Ich hätte anrufen sollen“, entschuldigte er sich. „Es war zu viel auf einmal für Sie. Ich bin davon ausgegangen, dass Sie von Kass’ Tod schon wussten, habe mich allerdings gewundert, dass Sie keinen Kontakt zu uns aufnahmen.“
„Ich begreife gar nichts …“
„Alp de Ciel ist zwar nur ein kleines Land, doch der Tod des Staatsoberhaupts machte weltweit Schlagzeilen. Auch hier in Australien. Lesen Sie denn gar keine Zeitungen?“
„Schon. Aber nicht in letzter Zeit. Mir ging es nicht gut. Wir waren hoffnungslos unterbesetzt.“ Ihre Stimme überschlug sich fast. Das Zittern wurde heftiger. Sie wollte ihm ihre Hände entziehen, er hielt sie fest. Vielleicht glaubte dieser Mann, sie wärmen zu müssen. Doch er gehörte zur Familie de Boutaine. Mit denen hatte sie nichts mehr zu tun.
Matty war auch ein de Boutaine. Und jetzt stand er in ihrer Küche und schnitt Kuchen.
„Ich hatte die Grippe“, flüsterte sie. „Eine schwere Grippe. Sie hat mich wochenlang ans Bett gefesselt. Die halbe Belegschaft war krank. In den letzten Monaten waren wir krank, oder wir rackerten uns ab, um die Kranken zu vertreten.“
„Also deshalb waten sie hier im Schlamm herum“, bemerkte er mitfühlend. „Meine Informanten sagen, dass Sie Historikerin sind und hier Forschung betreiben.“
Seine Informanten! So hätte Kass sprechen können. „Was ich hier tue, geht Sie nichts an.“
„Die Frau, die für Mathieu verantwortlich ist, geht mich allerdings etwas an.“
Eine Weile sah sie ihn sprachlos an.
„Wer … wer sind Sie eigentlich?“, fragte sie schließlich.
„Kass war mein Cousin.“
Sie befeuchtete sich die Lippen. „Ich erinnere mich nicht, Ihnen jemals …“
„Kass und ich sind uns aus dem Weg gegangen.“ Er warf einen kurzen Blick auf Matty. Doch der Junge war ganz auf seine Aufgabe konzentriert.
„Mein Vater war der jüngere Bruder von Kass’ Vater, dem früheren Fürsten. Papa heiratete eine Amerikanerin. Meine Mutter heißt Laura. Wir drei lebten im Witwenhaus neben dem Schloss. Meine Mutter wohnt heute noch dort. Die Ehe meiner Eltern war sehr glücklich. Deshalb will sie nicht fortziehen. Ich selbst bin nach dem Tod meines Vaters, mit neunzehn, von zu Hause weggegangen. Seit fünfzehn Jahren arbeite und lebe ich in New York. Als Kass starb, hat man mich zurückgeholt. Zu meinem Entsetzen bin ich nun Prinzegent.“
„Prinzregent?“
„Wie es aussieht, muss ich Alp de Ciel bis Mattys fünfundzwanzigstem Geburtstag regieren.“ Das klang nicht gerade erfreut. „Solange ich nicht abdanke, was ich nicht vorhabe.“
An ihrem Küchentisch saß also der Prinzregent von Alp de Ciel. Beinahe hätte sie laut losgelacht.
„Und warum sind Sie nach Australien gekommen?“
„Weil Matty seine Mutter braucht.“
Die Antwort verschlug ihr den Atem.
Sie sah sich nach Matty um und flüsterte: „Vor fünf Jahren verfügte
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