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Im schoenen Monat Mai

Im schoenen Monat Mai

Titel: Im schoenen Monat Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile de Turckheim
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bisschen auf mich heruntergeschaut, weil er nämlich Sanitäter gelernt hat und ich nichts, und zwar nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich zu blöd bin, was Monsieur Louis auch zu Lucette gesagt hat: »
Studieren
soll er? Was fällt dir ein? Genausogut kann man von den Schweinen in der Scheune verlangen, dass sie Abitur machen!«
    Ich habe mir das Testament aber nicht ganz allein aus den Fingern gesaugt, weil ich in der Schreibtischschublade von Monsieur Louis ein Muster gefunden habe. Das war sein echtes Testament, was er schon lange vorher geschrieben hat, bevor er sich erschossen hat (ich sage das nur für den Fall, dass ihr glaubt, ich habe von Anfang an nur gelogen und Monsieur Louis selber umgebracht). In Monsieur Louis ist eine große Traurigkeit gewesen, an der hat er so schwer getragen, dass er einmal zu mir gesagt hat, ich habe genug, Aimé. Er hat nicht viel gejammert, ein Mann, ein Wort, wie man so sagt, und drei Tage, nachdem er gesagt hat, ich hab genug, Aimé, hat Martial ihn mitten im Wald gefunden, erschossen und von den Wildschweinen angefressen. Man muss ihn verstehen, Monsieur Louis, er hat es einfach nicht ausgehalten, dass Lucette – die ein bisschen wie seine Frau war, weil sie jedes Wochenende Liebesdinge mit ihm gemacht hat, ohne Geld dafür zu nehmen –, dass seine Lucette wie der schrecklichste Mensch auf der Welt ausschaut, wenn man Martial nicht mitrechnet, der noch mehr geschmolzen ist. Mir ist das nicht aufgefallen, dass die Lucette nicht mehr so schön war, nachdem sie verbrannt ist, wegen der Liebe. Aber Monsieur Louis, der nichts von der Liebe verstanden hat, hat Lucette nicht mehr wiedererkennen können, wie bei den Kaffeebohnen, wenn sie gemahlen sind. Und dann hat Lucette nicht mehr können und ist in die Schweinescheune gegangen und hat ihren Hals in die Schlinge gesteckt. Das war dann viel zu viel für Monsieur Louis. Am meisten gewundert hat mich, dass Monsieur Louis in seinem echten Testament alles mir vererbt hat. Ich will nicht sagen, dass ich mich darüber gefreut hab, weil ich mich über nichts mehr freue, seit Lucette tot ist, aber ich habe gedacht, dieses Haus ist das Haus, in das Lucette jeden Samstag gekommen ist, und wenn es für immer mein Haus ist, gehören auch die ganzen Samstage mir und das Scheunendach auch. Dann habe ich daran gedacht, dass Lucette nicht den Mut gefunden hat, mir zu sagen, auf Wiedersehen, Aimé, bevor sie ihren Hals in die Schlinge gesteckt hat, deswegen bin ich ihr jedesmal böse, wenn ich mich in der großen Schweinescheune zu den Schweinen lege, obwohl man einer Dame eigentlich gar nicht böse sein kann, in der so eine große Traurigkeit ist, dass sie geht, ohne dass sie ihrem Sohn auf Wiedersehen sagt oder ich geh jetzt oder ich liebe dich.
    Ich habe mich direkt neben den Wachtmeister gesetzt, der ziemlich grimmig dreingeschaut hat, was man sich vorstellen kann nach der Menge Gift in seinem Kaffee. Weil Paulette Truchon so viel Zeit zum Sterben gebraucht hat, hab ich begriffen, dass zu wenig Gift in der Suppe war und ich beim Wachtmeister mehr nehmen muss. Da war es wieder zu viel. Lucette sagt, ich bin ein bisschen ungeschickt. Aber versetzt euch einmal in meine Lage! Wie soll man die tödliche Menge Gift in einer Kaffeetasse treffen, wenn man sein ganzes Leben lang barfuß durch den Gemüsegarten geht, damit man kein Insekt vom lieben Gott zertritt.
    Jetzt liegt er da mit seinem grimmigen Gesicht, und ich kann ihn trotzdem in Ruhe betrachten, weil er mich nicht mehr sehen kann. Ich will wissen, ob er mir ähnlich ist, ja, die Ähnlichkeit ist erstaunlich. Nein, doch nicht. Das ist überhaupt nicht erstaunlich. Man hat ja oft die Nase oder die Stirn oder das ganze Gesicht vom Großvater, und ich weiß gar nicht, wo ich noch suchen soll. Vielleicht bemühe ich mich auch nicht sehr, weil ich gar nichts finden will. Mich ärgert nur, was ich noch machen muss. Ich habe euch nichts davon gesagt, aber ich habe ein violettes Mal auf dem Knie, von dem Lucette sagt, das ist ein Geburtsmal, ein hässlicher Fleck, der nicht weggeht. Lucette hat das gleiche Mal an der gleichen Stelle, und wir sind oft nebeneinander gesessen, auf dem Zaun vom Gemüsegarten zum Beispiel, und haben die Male auf unseren Knien verglichen, ohne was zu sagen, und ich kann euch gar nicht sagen, wie schön das war, weil es beweist, dass Lucette meine Familie ist und ich ihre und wenn wir uns verlieren oder unser Gedächtnis, haben wir immer noch unsere Knie, um uns

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