Im Sog der Gefahr
das Wrack anzusehen, dass Milbank aber nicht aufgekreuzt war. Dass er bei Finn und Brent eingebrochen war und Finns Pistole gestohlen hatte. Aber er hatte niemanden umgebracht und die Polizistin nicht von der Straße abgedrängt.
Wer würde ihm glauben? Es klang verrückt. Als ob ihm jemand etwas anhängen wollte. Auf gar keinen Fall wollte er seine Pistole abgeben müssen, solange Dryzek nicht hinter Gittern saß.
Eine andere Möglichkeit wäre, Dryzek zu sagen, dass eine Polizistin in diesem Motel in der Falle saß. Sie schien allein zu sein. Den Wirt hatte Remy in der Hand, also wäre es ein Kinderspiel, in ihr Zimmer zu gelangen. Wenn er Dryzek einen Bullen auf dem Silbertablett servierte, würde das vielleicht ausreichen, um sich den Mann vom Hals zu halten. Dann ein kleiner Wink an die Polizei, genau im richtigen Moment, und Dryzek und Ferdinand würden für sehr lange Zeit einfahren. Oder vielleicht würde Holly das tun, was er offenbar nicht fertigbrachte, und die beiden Mistkerle abknallen. So oder so sah es danach aus, als hätte er nicht viel zu verlieren, wenn er sie opferte. Außer vielleicht seine Seele.
Cassy rief fünf Stunden nach ihrem letzten Gespräch zurück. Sie klang atemlos. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Mir ist ein Serienvergewaltiger dazwischengekommen, der nicht warten konnte. Wir versuchen schon so lange, den Kerl zu kriegen, und ich glaube, wir haben endlich seine DNA .«
Holly konnte nicht sprechen. Es kam ihr vor, als hätte sie seit dem letzten Telefonat völlig in der Luft gehangen. Tausend mögliche Szenarien gingen ihr durch den Kopf. Mit ihrem Vater hatte sie noch nicht gesprochen, zuerst musste sie mit Cassy reden und sich anschließend überlegen, wie sie mit alldem umgehen sollte.
»Finn und Brent Carver sind Vollbrüder und scheinen mit dir oder unserem Unbekannten nichts gemeinsam zu haben außer einer sexuellen Beziehung. Also, natürlich nur der Erstere. Es sei denn, du hast mir noch etwas von zwei attraktiven Brüdern und einem flotten Dreier zu erzählen, wie ihn sich jede Frau erträumt.«
»Was?« Die Erleichterung über die Neuigkeiten breitete sich in ihr aus. Holly lag auf dem Bett und hielt die Tränen zurück, die überlaufen und sie ertränken wollten.
»Ich weiß, ich bin abscheulich, aber ich will Details wissen. Ist Finn so heiß, wie sein Foto vermuten lässt? Sein Bruder ist verdammt scharf. Und, Süße, ich fange an zu verzweifeln. Seit Wochen, vielleicht Monaten hatte ich kein Date mehr, und er sieht einfach umwerfend aus …«
»Ich glaube, ich habe mich verliebt. In Finn, nicht in seinen Bruder.« Erschrocken sog sie die Luft ein, als Cassy verstummte. »Diese Sache habe ich gründlich versaut. Wahrscheinlich bin ich meinen Job los, und Finn wird nie wieder mit mir reden.« Und das war nun wirklich ihr geringstes Problem, auch wenn es sich anfühlte, als würde ihre Brust unter einem Bleigewicht zerquetscht. »Und offenbar habe ich in diesem Dorf einen Halbbruder.« Sie setzte sich auf. Lieber Himmel, welche Konsequenzen das hatte! Sie rief die Tatortfotos des Edgefield-Falls auf. »Vielleicht bin ich ein Mädchen namens Leah Edgefield.«
Wie verrückt war das denn?
»Was?«, fragte Cassy.
»Vor dreißig Jahren gab es in diesem Ort einen Doppelmord. Eine Frau, der ich so ähnlich sehe, dass ihr Mann bei meinem Anblick in Ohnmacht gefallen ist, und ihr wenige Monate alter Sohn wurden erschlagen.«
War er das wirklich?
, dachte Holly plötzlich. Für das Baby gab es keinen DNA -Nachweis, nur die Annahme, dass es sich um Biancas Sohn gehandelt hatte, weil er im richtigen Alter war und man ihn in ihren Armen gefunden hatte. Aber seine Gesichtszüge waren mit einem Hammer zerschmettert worden –
warum?
War es ein willkürlicher Akt der Gewalt gewesen oder eine kalkulierte Täuschung? Sie hörte Cassy Einzelheiten in ihren Computer eingeben. »Am selben Tag ist ihre Tochter verschwunden, ein kleines Mädchen namens Leah Edgefield. Alle nahmen an, dass sie von einem Puma oder Wolf verschleppt wurde.«
»Verdammich, du siehst genauso aus wie sie.«
In Hollys Brust brach etwas auf. Eine wilde, entsetzliche Theorie. »Ich muss die DNA überprüfen. Von der Frau und dem Baby.« Bianca Edgefield könnte ihre Mutter gewesen sein. Während sie das Bild betrachtete, versuchte sie, sich das Szenario auszumalen, versuchte, sich Thomas als ihren Vater vorzustellen. Und brachte es nicht fertig.
»Es ist möglich, dass der Mord nichts mit dir
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